Hamburg und das Glück

Diese Woche wollte ich ja eigentlich über Sexualität und Erotik im Alter schreiben, aber es kam aber irgentwie anders, wie Sie schon an der Überschrift sehen. Dabei hatte es ganz vielversprechend angefangen.

 

Bevor ich am Sonntag morgen in den Zug stieg, hatte ich noch ein wenig Zeit, um in der Bahnhofsbuchhandlung zu stöbern, und ich fand tatsächlich ein zum Thema passendes Buch mit dem Titel: „Liebe auf den späten Blick – Partnersuche 60 plus“. Ich begann zu lesen…, leider stolperte ich ziemlich bald über folgende Frage: „Wann waren die glücklichsten Momente in Deinem Leben?“ Nicht, dass ich die Frage ungewöhnlich oder ungehörig fände, aber vielleicht kennen Sie das Gefühl: Manchmal werden Fragen direkt für uns oder an uns gestellt, obwohl wir das in diesem Moment gar nicht wollen.
So ging es zumindest mir an diesem Sonntagmorgen in der Bahn. Ich konnte die Frage einfach nicht aus meinem Kopf bekommen, und, was  noch viel schlimmer war, ich konnte keine Antwort finden.

Ich erinnerte mich, dass ich meiner Mutter vor 12 Jahren an meinem 40. Geburtstag die gleiche Frage gestellt hatte. Ich war damals nicht besonders glücklich in meinem Leben und wollte gerne von meiner Mutter wissen, ob und wann sie glücklich in ihrem Leben gewesen sei. Ihre Antwort fiel recht pragmatisch aus: „Tja, glücklich? Ich weiß nicht. Erst war so viel Arbeit in der Firma, dann kamt ihr Kinder (ich habe 4 Geschwister) und dann starb Papa…, Glück, ich weiß nicht, aber jetzt die letzten Jahre bin ich zufrieden mit meinem Leben.“ Schöne Aussichten, dachte ich damals. Irgentwie hatte ich gehofft, eine weise Antwort zu erhalten, aber es kam keine, außer eine, die sich angefühlt hat wie: „Erwarte nicht zu viel von deinem Leben“.

So wie damals, frage ich mich auch heute immer wieder mal: „Was brauche ich eigentlich, um glücklich zu sein?“ Diese Antwort hat viel mit Hamburg zu tun, denn Hamburg ist für mich ein Glücksort, ich sage immer, meine Geliebte, während Karlsruhe meine Ehefrau ist. Hier in Hamburg habe ich während meines Erststudiums unheimlich schöne Zeiten erlebt. Ich mag die Menschen und noch mehr die Elbe. Doch an diesem Sonntag hatte ich erstmal keinen Zugang zu diesem Glücksgefühl.
Es gibt Tage, an denen man sich die Frage nach dem Glück besser gar nicht stellt, weil man keine Antwort findet, oder, weil es einem nicht gut geht und jede Antwort negativ ausfällt. So ging es mir an diesem Nachmittag.

Ich habe mich dann mit einer alten Studienfreundin getroffen, die mittlerweile Professorin ist und habe ihr die gleiche Frage gestellt. Sie: „Mich beschäftigt das auch, und ich versuche Antworten zu finden. Nächstes Jahr mache ich ein Sabbatjahr, und dann werde ich allein reisen, wie ich es als junge Frau getan habe. Ich versuche einem ehemaligen Glück zu begegnen.“ Das Schöne an unserem Gespräch war, dass wir kein „Anwärmen“ brauchten, obwohl wir uns maximal einmal im Jahr sehen und dazwischen keinen Kontakt haben.

Nach unserem gemeinsamen Kaffeetrinken bezog ich mein Hotelzimmer in meinem absoluten Lieblingshotel am Hamburger Hafen. Seit ich das erste Mal dort genächtigt habe, komme ich immer wieder dort hin. Ich fühle mich geborgen, schlafe trotz der vielen lauten Geräusche richtig gut und genieße vor allem aus meinem Lieblingszimmer einen echt traumhaften Blick. Dazu wechselt das Personal so gut wie nie, und ich kenne die meisten Kellner und Kellnerinnen, die superfreundlich und persönlich sind. Definitiv wie nach Hause kommen. (An dieser Stelle hätte ich Ihnen gerne meine tollen Bilder gezeigt, aber es funktioniert noch nicht, da ich in diesem Programm noch Anfängerin bin. Ich werde es nachholen.)

An diesem Abend hatte ich keine Lust, noch wegzugehen. Statt dessen setzte ich mich mit meinem Daunenmantel an das weit geöffnete Fenster und schaute nach draußen auf die Elbe und die fast fertig gestellte Elbphilharmonie. Dazu das Tuten der Schiffe und das Kreischen der Möven. Eigentlich macht mich das immer glücklich, an diesem Abend aber nicht. Ich trank eine halbe Flasche Rotwein, was für meine Verhältnisse richtig viel ist und fühlte mich bedrückt. Und auch ein bisschen einsam. Es wäre schön, dieses tolle Zimmer mit meinem Partner zu teilen, er fehlt mir. Aber darüber möchte ich nicht schreiben, denn die beiden (Mann und Sohn), mit denen ich zusammenlebe, mögen die Öffentlichkeit nicht besonders, und das möchte ich respektieren.

Die Folge des Rotweins war eine angenehme Bettschwere, und ich schlief richtig gut in dieser Nacht, und als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatten wir richtig schlechtes Aprilwetter, so beschloss ich, in der Stadt zu bleiben und shoppen zu gehen. Auch hier fragte ich mich, wie sich Shoppen eigentlich anfühlt. Es kann Spaß bringen, vor allem wenn man etwas Schönes findet, aber glücklich macht es mich definitiv nicht.

Am Abend traf ich mich mit einer relativ neuen Freundin, die ich auf einem Blog-Seminar kennengelernt hatte, zum Essen im hoteleigenen Restaurant. Auch hier kein Aufwärmen nötig. Wir sprechen über das, was uns beschäftigt, und trinken dazu leckeren Wein. Im Anschluss fährt sie mich auf die Reeperbahn, ich muss ja noch in den Sexshop, um zu recherchieren. Das Ergebnis meiner Recherche folgt an dieser Stelle in den nächsten Wochen.

An diesem letzten Abend gehe ich ohne Rotwein, aber deutlich besser gelaunt ins Bett. Ich freue mich auf das Ausschlafen und überlege, was ich an meinem letzten Tag machen könnte. Der Wetterbericht verspricht Sonne, und ich habe alle Möglichkeiten.
Aber ich habe auch eine Erkenntnis, als ich mir die Frage stelle, ob Sex eigentlich glücklich macht. Noch mit den Eindrücken aus dem Sexshop denke ich, purer Sex macht mich nicht glücklich. Aber, wenn ich mich verbunden fühle, und damit meine ich nicht unbedingt Liebe, im Kontakt mit mir selber und meinem Gegenüber, dann kann Sex durchaus richtig glücklich machen.

Ich hatte dann noch eine weitere Erkenntnis zum Glück. Manchmal bin ich auch während meiner therapeutischen Arbeit richtig glücklich. Nämlich dann, wenn sich Klienten und Klientinnen trauen, tief zu gehen, sich selbst zu begegnen, Vorwürfe beiseite legen und Fragen zu stellen. Dann erlebe ich zwei oder drei Menschen in einem Raum, die mit dem Gleichen beschäftigt sind, die Antworten suchen auf existenzielle Fragen. Für mich tatsächtlich ein spiritueller Moment, ganz ohne Glaube.

Am nächsten Morgen beschließe ich mit dem Bus in die Hafencity zu fahren. Die Linie 111 hält direkt an den Landungsbrücken und ist Hamburgs günstige Alternative zur Stadtrundfahrt. Ich gehe los, die Ampel ist rot, leider bin ich zu spät. Der Bus fährt ab. An der roten Ampel schaue ich den Busfahrer an, lache, und er öffnet die Tür. Das freut mich richtig, denn eigentlich darf er dort nicht halten. Leider habe ich nur 50 Euro, und er kann nicht wechseln. Was nun? „Bleiben Sie erst mal hier stehen, ich muss sofort weiter fahren, wir blockieren den ganzen Verkehr.“ Er fährt an und ruft in den Bus: „Kann jemand 50 Euro wechseln?“ Stille! Er probiert es noch einmal, lauter und kramt gleichzeitig in seinem Privatportemonaie. Dann von hinten ein freudiges „Ich kann!“ Die Frau kommt nach vorn und wechselt das Geld. Ich denke, das Glück hat eine kleine Schwester, die Freude. Ich freue mich über Menschen, denen ich nicht egal bin und die ihren Job gern machen und mir damit eine Freude. In der Hafencity angekommen, spreche ich dies sogleich in mein Smartphone, ich habe nämlich entdeckt, dass ich Gedanken aufnehmen kann. Ich freue mich.

Als erstes kaufe ich mir ein kleines Frühstück und setze mich an einen Platz, der nicht besonders schön ist, den ich aber trotzdem gerne mag. Ich sitze beim Unileverhaus auf der Bank, trinke Kaffee und esse ein unerwartet knackiges Brötchen. Um diese Zeit ist es noch recht still. Ich genieße die Ruhe und die Sonne. Neben mir eine Menge rote Langnesestühle und ich muss an eine Bekannte denken, die hier gearbeitet hat und die nun nach Heilbronn versetzt wurde. Die Bewertung überlasse ich Ihnen, Sie können sich wahrscheinlich vorstellen, wie ich darüber denke.
Dann erblicke ich rechts von mir zwei ganz in rot gekleidete Männer, die vorzüglich in die roten Stühle passen. Sie schlecken genüsslich ein Eis und halten das Gesicht in die Sonne. Etwas verschämt und total unauffällig mache ich ein Foto. Dann denke ich: Mut macht auch glücklich. Ich könnte die beiden fragen, ob ich sie fotografieren darf, weil sie sich so gut in den roten Stühlen machen. Ich traue mich, und ich darf. Wir machen noch ein wenig small talk und dann ziehe ich weiter. Ich denke über das Mutigsein nach. Über den Mut habe ich im Zusammenhang mit Glück noch nie gelesen, aber mir wird klar: Für mich ist Mut unheimlich wichtig, um glücklich zu sein. Mut lässt uns Neues tun, wir müssen aktiv werden, Grenzen überwinden, Mut hilft uns, unser Leben selbst in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Wir können scheitern, aber wir können auch dazu gewinnen.

Beschwingt steige ich wieder in den Bus. Mein Ziel sind die Landungsbrücken. Endlich in die Linie 62 steigen und mit dem Schiff auf der Elbe schippern, Hamburgs günstige Alternative zur Hafenrundfahrt. Eigentlich hätte ich das gestern machen müssen, denn da war es total stürmisch. Ich liebe es, mir den Wind ins Gesicht pfeifen zu lassen, wenn die Jacke wegfliegt und die Frisur aussieht, als habe man die Finger in die Steckdose gehalten. Wenn ich vorne an Deck stehe, habe ich die Illusion, ganz allein an Bord zu sein, was an diesem Morgen definitiv wegen des schönen Wetters nicht der Fall war. Aber es war kalt, und ich freute mich über meinen Entschluss, den warmen Mantel gewählt zu haben und nicht das trendige Modell. So ließ ich mir den Wind um die Ohren pfeifen und hielt das Gesicht in die Sonne. Auf zum Elbstrand! Das Wasser zu hören, die Gischt im Gesicht, das Schaukeln des Schiffes und dieser ungemein freie Blick auf den Hafen, das Ufer und die schönen Gebäude, definitiv glücklich machend, immer wieder.

Mein Ziel: ein Cafe am Museumshafen. Wo kann man mit Cappucino im Liegestuhl liegen und auf die Werften und den Hafen blicken? Den Kaffee auf dem Schoß, mache ich ein kleines Nickerchen. Die Möven schreien, neben mir unterhalten sich zwei Frauen über ein Cafe in Speyer.

Auf dem Rückweg versuche ich etwas Neues zu tun. Ich mag es, überrascht zu werden, und neue Wege zu gehen. Wiederum steige ich in den Bus und steige an einer Stelle aus, an der ich noch nie ausgestiegen bin. Ein letzter Blick auf die Elbe. Wie schön, dass es mir mitlerweile möglich ist, immer wieder hierher zu kommen. Wie schön, dass ich mir meine Arbeit einteilen kann und für mich selbst verantwortlich bin.
Während ich am Sonntag keinen Zugang zu meinen Glücksgefühlen finden konnte, strömt jetzt die Dankbarkeit nur so aus mir heraus. Was für eine Glücksernte heute.

Ich fasse meine Erkenntnisse noch mal zusammen. Für mein Glück braucht es Geborgenheit, tiefe Verbindung zu Menschen oder Landschaften, Intensität beim Tun, etwas Neues erleben, etwas Mutiges tun, Natur zu spüren sowie Freude und Dankbarkeit.
Und nicht zuletzt – etwas ganz Pragmatisches – die richtige Kleidung. Mein kleiner Kurztrip wäre nur halb so schön gewesen, wenn ich hätte frieren müssen.

Und da Sie ja bereits wissen, dass ich mich aus beruflichen Gründen mit Sexualtät und Erotik beschäftige, können Sie sich auf einen weiteren Beitrag freuen, der meine Glücks-Erkenntnisse auf diese Themen anwendet.

Ausblick aus meinem Hotelzimmer im Hotel Hafen Hamburg

 

10 Kommentare
  1. Schnupsipulami
    Schnupsipulami says:

    Ein kleines Glück für mich heute morgen sind Ihre Zeilen, wo mich ganz vieles bewegt…
    Ein großes Glück für mich ist: mich seit einiger Zeit nach vielen, vielen Jahren wieder zu spüren.
    Glückstränchen kommt…

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    • Christiane Jurgelucks
      Christiane Jurgelucks says:

      Wie schön, dass ich Ihnen eine Freude machen konnte. Für das Glück braucht es oft nichts Großes, es fühlt sich gut an, wenn man spürt, dass auch andere Menschen mit den gleichen Themen beschäftigt sind. „Zusammen ist man weniger allein.“

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  2. Steffi Wagner
    Steffi Wagner says:

    Liebe Christiane,

    die „relativ neue Freundin“ 😉 freut sich auch jedes Mal, dass wir bei deinen Hamburg-Besuchen während unseres inzwischen schon fast traditionellen Abendessen im Hotel Hafen Hamburg nie eine Aufwärmphase brauchen. Dein Artikel ist eine wunderbare Zusammenfassung von Innen- und Außenansichten… Hamburg & ich freuen uns schon auf deinen nächsten Besuch!

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    • Christiane Jurgelucks
      Christiane Jurgelucks says:

      Liebe Steffi,
      vielen lieben Dank. Witziges Gefühl, wenn die Freundin aus dem Beitrag plötzlich lebendig wird. Ich freue mich auf unser nächstes Treffen. Dann steht auf jeden Fall ein Besuch auf der Reeperbahn an.

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  3. Sabine Hoffarth
    Sabine Hoffarth says:

    Glück ist auch, Ihre schöne Zeilen zu lesen und dankbar zu sein, dass es Sie gibt und man mit Ihnen/bei Ihnen Antworten auf existentielle Fragen suchen kann.
    Das ist schon großes Glück!

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    • Christiane Jurgelucks
      Christiane Jurgelucks says:

      Liebe Frau Hoffarth, das haben Sie schön gesagt. Ich freue mich, dass Menschen wie Sie meinen Text zu schätzen wissen. Da macht das Schreiben einfach Spaß.

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    • Christiane Jurgelucks
      Christiane Jurgelucks says:

      Ich fürchte Sie müssen sich noch mindestens 2 Wochen gedulden. Ich habe einen „Blogstau“, d.h. viele Ideen und gerade ein bischen zu wenig Zeit. Der Vortrag, für den ich recherchiert habe, ist am 19.7. zu halten. Danach werde ich mich an die Arbeit machen. Wann haben Sie denn Geburtstag, vielleicht klappt es ja rechtzeitig.
      Herzliche Grüße
      Christiane Jurgelucks

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