Der Liebe eine Chance geben – Beziehungsglück ist erlernbar
In meinem letzten Beitrag hatte ich Ihnen ein paar hilfreiche „Regeln“ versprochen, die helfen können, Liebe und Partnerschaft dauerhaft leben zu können.
Zahlreiche gut verkäufliche Ratgeber wie „die Glücksformel“, „Liebe auf Dauer“, „Wie Partnerschaft gelingt“, „die sieben Geheimnisse der glückliche Ehe“ oder „die Vermessung der Liebe“ zeigen die Suche der Menschen nach dauerhaften Glück in der Partnerschaft.
Was eine Partnerschaft heutzutage stabil macht ist – im Vergleich zu früher – immer mehr die zwischenmenschliche Qualität der Beziehung, also die Beantwortung der Frage, ob die beiden Partner diese Beziehung als noch befriedigend erleben, ob einer den anderen noch spürbar liebt und sich vom anderen geliebt fühlt.
Wenn Menschen die Erfahrung tiefer Liebe machen, wollen sie in der Regel, dass diese Liebe von Dauer ist. Natürlich gibt es ein Bedürfnis nach Freiheit, Autonomie und Nichteinschränkung, aber noch tiefer sitzt das Bedürfnis nach einer festen Bindung, nach Wurzeln und dem Gefühl zu wissen, wo wir hingehören.
Es kommt also immer mehr auf das Wissen und Können der Partner an, die Liebe auf Dauer lebendig zu halten. Liebe zueinander und Beziehung miteinander ist ein Entwicklungsprozess und nicht ein Ereignis, das mit einem Mal da oder auch wieder weg ist. Vielmehr entfaltet sich die Liebe über die Zeit hin.
Hans Jellouschek hat 2008 in seinem Buch „Liebe auf Dauer“ ein paar Grundsätze für lebendige, glückbringende und stabile Partnerschaften aufgestellt, die jedoch nicht als Patentrezepte verstanden werden dürfen. Ich möchte sie Ihnen in Kurzform darstellen.
1. Definiert eure Beziehung – die Kunst, verbindlich zu werden
Das bedutet, es muss klar sein, was wir füreinander sind und was wir darunter verstehen. Wenn Sie an das Paar aus dem letzten Beitrag denken, dann bedeutete für die Frau die Ehe, dass man in guten und schlechten Zeiten zusammensteht, seiner Pflicht als Mutter und Vater nachkommt. Für den Mann hingegen bedeutete die Ehe: Wir bleiben auch ein Liebespaar. Beide definierten ihre Beziehung unterschiedlich, was zu unüberwindbaren Konflikten führte.
2. Lernt einander gut kennen – die Kunst, Fremdheit zu überwinden
Sie kennen die Aussage: „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ sowie „Unterschiede ziehen sich an“. Beides stimmt, jedoch ist es einfacher, eine Beziehung mit einem Menschen zu führen, der mir selbst ähnlich ist.
Paare, die sich aufgrund der Anziehung durch Unterschiede verlieben, erleben häufig zu einem späteren Zeitpunkt ihrer Beziehung, dass Unterschiede, die einst so faszinierend und aufregend waren, nur noch „nerven“. Damit Beziehungen mit hoher Unterschiedlichkeit eine Chance haben, braucht es viel Interesse und Engagement, den Partner in seinem Erleben zu verstehen und kennenzulernen. Gelingt dies, hat ein Paar deutlich größere Erlebensmöglichkeiten als ein „gleiches“ Paar.
3. Versöhnt euch mit eurer, seiner und ihrer Vergangenheit – die Kunst, füreinander frei zu sein
Vielleicht einer der schwierigsten Aufgaben für uns Menschen: Die erste Liebes- und Bindungsgeschichte haben wir mit unseren Eltern und unseren Geschwistern. Nicht jeder macht die Erfahrung, rundum, um seiner selbst geliebt zu werden. Viele Verletzungen und wunde Punkte unserer Persönlichkeit stammen aus jener Zeit. Dazu kommen Erfahrungen aus früheren Liebesbeziehungen. Auch hier bringen wir neben guten Erfahrungen, Verletzungen und Kränkungen mit. Nicht alle sind uns bewusst bzw. gut verarbeitet. Die Erfahrung lehrt: Je unbewusster der Schmerz, desto größer die Gefahr, viele dieser Verletzungen auf den neuen Partner zu übertragen.
4. Betont das Positive eurer Beziehung – die Kunst, einander gut zu tun
Mit der Zeit wird alles noch so Faszinierende, Aufregende und Attraktive gewöhnlich. Wir verlieren vielleicht den Blick für das Besondere unserer Beziehung. Da wird die Kunst, den anderen immer wieder positiv zu betrachten und sein Verhalten wertzuschätzen, eine wichtige Quelle der gemeinsamen Beziehung. Vielleicht können Sie sich vornehmen, Ihrem Partner mehrmals pro Woche Anerkennung zu vermitteln: verbal, durch eine kleine Berührung, einen Blick oder eine Umarmung, die sagt: „Ich freue mich, dass es Dich gibt.“
5. Lernt einander zu verzeihen – die Kunst, Verletzungen wieder gut zu machen
In einer lebendigen Beziehung lassen sich Verletzungen nicht vermeiden. Sie geschehen, auch wenn beide Partner sich viel Mühe geben. Die Kunst besteht darin, Verletzungen angemessen anzusprechen und darin, dass der andere sie angemessen anerkennt. Vorwürfe und Verteidigungen helfen entgegen des üblichen Umgangs vieler Paare nicht.
Was beim Verzeihen helfen kann, ist das Gefühl, dass mein Partner verstanden hat, dass mir etwas wehgetan hat und meinen Schmerz anerkennt. Ein gemeinsames Gefühl stärkt die Intimität.
6. Schafft Räume für Intimität – die Kunst, einander nahe zu kommen
Was am Anfang außer Frage steht, nämlich möglichst viel Zeit miteinander zu verbringen, sich auszutauschen und Zärtlichkeiten zu genießen, wird im Laufe einer Beziehung – gerade mit Kindern – häufig zum unüberwindbaren Hindernis. Plötzlich ist alles andere wichtiger als der Partner oder die Partnerin: die Arbeit, der Haushalt und natürlich die Kinder, so dass der Liebesbeziehung häufig die Luft ausgeht.
Zufriedene Paare nehmen sich Zeit füreinander, planen gemeinsame Erlebnisse, fragen nach Bedürfnissen und genießen Zeiten der (erotischen) Zweisamkeit. Vermittelt wird das Gefühl: Du bist mir wichtig, es macht mir Freude, Zeit mit dir zu verbringen.
7. Stellt Gegenseitigkeiten und Ausgleich her – die Kunst der Balance in der Beziehung
Beziehung kann nur gelingen, wenn beide Partner die Erfahung machen, das der andere auf die Dauer gleich viel investiert wie er selbst. Es geht hier um Investitionen in die innere Welt der Gefühle und in die äußere Welt der Pflichten und des Engagements.
Sehr häufig scheitern Paare hier. In jedem von uns lebt ein „Banker“, der akribisch darüber wacht, ob der Partner genügend in das „Beziehungskonto“ einzahlt, oder ob er nur abhebt.
8. Macht eure Probleme zu gemeinsamen Problemen – die Kunst, miteinander gut zu kooperieren
Diejenigen Paare, die ihre Probleme als die gemeinsamen sehen, diese gemeinsam angehen und schließlich miteinander lösen, erschließen sich ein hohes Wachstumspotential in ihrer Liebesbeziehung. Selbst dann, wenn sich herausstellt, dass Probleme nicht zu lösen sind, sondern ertragen werden müssen. „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ oder „Geteilte Freude ist doppelte Freude.“
9. Nehmt Krisen als Entwicklungschance wahr – die Kunst, Herausforderungen anzunehmen und sie zu bewältigen
Jede Beziehung gerät in Krisen. Das ist völlig normal. Das kann der Beginn als Familie sein, wenn das erste Kind kommt. Das können Arbeitslosigkeit oder chronische/schwere Erkrankungen sein. Eine der häufigsten Krisen stellt die Bedrohung der Liebesbeziehung durch eine „Außenbeziehung“ dar. So schwierig eine solche Situation auch für das Paar sein mag, solche Krisen könnnen immer auch Anlass für einen neuen Aufbruch sein, sich als Paar reflektieren, aus einer drohenden Erstarrung heraustreten und gemeinsam (manchmal mit professioneller Hilfe) neu und anders zusammenfinden.
10. Schafft euch gemeinsame Sinnwelten und Lebensperspektiven – die Kunst, das Zusammenleben mit Sinn zu erfüllen
Die Frage nach dem Sinn begleitet uns Menschen immerfort, nicht nur für uns selbst, sondern auch im Zusammenleben mit dem geliebten Partner. Was macht unser Zusammenleben aus? Wie wollen wir unsere gemeinsame Zeit gestalten, worin unsere Kraft investieren. Paare, die ähnliche Werte und Zukunftsvisionen teilen, erleben ein größeres Zusammengehörigkeitsgefühl.
Die Frage nach dem Sinn kann eine der quälensten Fragen überhaupt sein. Dies betrifft vor allem Paare im mittleren und höheren Lebensalter, wenn die „Welt erobert“, „der Baum gepflanzt“, die Kinder groß sind und das Haus zu einsam wird. Während im jüngeren Lebensalter viele Lebensperspektiven durch unsere biologische Entwicklung geprägt sind, müssen wir im Alter ganz eigene Antworten finden. Nicht selten führt dies Paare in die Paartherapie.
Wahrscheinlich habe ich Ihnen nichts Neues erzählt, aber ich hoffe, es hat Sie trotzdem inspiriert. Es kann nicht schaden, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass es „eigentlich“ nicht so viel braucht für eine gute Beziehung. Und doch ist das Einfache oft so schwer.
Wer weiterlesen möchte, um sich ein eigenes Bild zu machen, kann dies in den Büchern von Hans Jellouschek und John Gottman tun. Ich wünsche Ihnen spannende Momente und einige „Aha“- Erlebnisse.
Der Jellouschek hat natürlich in allem recht, da erzählen Sie mir wirklich nichts Neues…
Habe allerdings ein paar Lebensjahrzehnte gebraucht, um es, auch mit Ihrer Hilfe, herauszufinden 🙂
Finde Punkt 3 am wesentlichsten.
Lese: „Nicht jeder macht die Erfahrung, rundum, um seiner selbst geliebt zu werden.“ Und denke: So gut wie keiner macht diese Erfahrung. Den Anteil der Sonnenkinder schätze ich mal auf 5%.
Ob’s durch die staatlich geförderte Kommerzialisierung der Kindertagespflege ab 1 Jahr einschl. chinesischem Sprachbad besser wird? Bezweifle das…
LG
Da haben Sie Recht. Allerdings mache ich tatsächlich die Erfahrung, dass jüngere Menschen, also keine Kinder der Kriegsgeneration, relativ liebevolle Erfahrungen in ihrer Kindheit machen. Vielleicht ändert sich ja wirklich langsam etwas.
Herzliche Grüße
Christiane Jurgelucks