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Hormone und Medikamente – Der kleine Unterschied

Andreas Jurgelucks

Hormone und Medikamente – was ist der Unterschied?

Immer wieder einmal kommen Klientinnen in unsere Praxis, meistens ab fünfundvierzig Jahren aufwärts, die über wiederkehrende Blasenentzündungen, verminderte Lubrikation (Durchfeuchtung der Scheidenschleimhaut) und damit verbunden Jucken oder Brennen im Genitalbereich oder Schmerzen beim Geschlechtsverkehr klagen. Manchmal treten begleitend Schlafstörungen, Hitzewallungen oder Stimmungsschwankungen auf. Besuche beim Gynäkologen bringen in den meisten Fällen keine Veränderung. Manche Ärzte sagen dann „Was wollen Sie denn, Ihre reproduktive Phase ist doch abgeschlossen!“ oder geben Ratschläge, Gleitmittel oder Öl zu verwenden. Die erstgenannte Aussage ist in meinen Augen eine Frechheit – als wäre die Vermehrung der einzige Grund für Sexualität. Der zweite Ratschlag lindert zwar möglicherweise ein wenig die Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, geht aber nur auf das Symptom ein, nicht auf die Ursache. Eine der häufigsten Ursachen ist im Zusammenhang mit den geschilderten Symptomen das (prä-) menopausale Absinken der Sexualhormone, insbesondere von Östrogen. Bereits einige Jahre vor der Menopause beginnt der Spiegel verschiedener Hormone im Körper zu sinken. Übrigens sinkt mit zunehmendem Alter auch bei Männern der Hormonspiegel. Da die Abnahme der verschiedenen Hormone im Blut bereits im Alter von fünfundzwanzig bis dreißig Jahren schleichend beginnt, manifestieren sich die ersten Symptome manchmal schon viel früher, als wir damit rechnen. Und da sich die Symptome ebenso einschleichen, fallen sie vielleicht zunächst gar nicht auf. Der Beginn der Menopause ist dann mit einem rapiden Absinken der Zyklus-Östrogene verbunden, wodurch die „Wechseljahresbeschwerden“ u.U. sehr heftig werden können. Die folgende Grafik zeigt den durchschnittlichen Verlauf der verschiedenen Hormonspiegel im Verlauf des Lebens.

Hormone im Altersverlauf

Abbildung 1: Hormonspiegel im Altersverlauf (Römmler, 2013)

Was sind eigentlich Hormone?

Wofür sind die gut? Braucht man sowas? Kann ich ohne Bedenken Hormone einnehmen? Was haben Hormone mit Medikamenten zu tun?

Hormone sind wichtige Botenstoffe in unserem Körper. Es gibt im menschlichen Körper in etwa 1000 Hormone. Die bekanntesten Vertreter dürften vermutlich das Blutzucker-regulierende Insulin, das Stresshormon Cortisol, die Schilddrüsen-Hormone TSH, T3 und T4, die „Schlaf- und Wachrhythmus-Hormone“ Melatonin und Serotonin sowie die Sexualhormone Östradiol, Testosteron und Progesteron sein. Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl weiterer Hormone, teilweise Vorläufer oder Abkömmlinge der eben genannten, teilweise aber auch vollkommen eigenständige Hormone.

Auch Vitamin D3 ist eigentlich ein (Steroid-)Hormon. Die Mitglieder der Gruppe der Steroidhormone haben allesamt einen Vorläufer, aus dem sie im Körper gebildet werden: Cholesterol, im Volksmund auch Cholesterin genannt. Dementsprechend haben die Steroidhormone alle eine ähnliche Struktur, die aus drei kondensierten Ringen mit jeweils sechs Kohlenstoffatomen sowie einem Ring aus fünf Kohlenstoffatomen – dem Steroid-Grundgerüst – bestehen:

Steroid-Grundgerüst

Abbildung 2: Steroid-Grundgerüst

Hormone sind hochspezialisierte Moleküle, die im Körper exakt definierte Funktionen erfüllen. Man kann sich das bildhaft vorstellen, wie ein komplizierter Sicherheitsschlüssel, der genau in das dafür vorgesehene Schloss passt. Die hohe Spezialisierung wird einigermaßen verständlich, wenn man sich z.B. die beiden Sexualhormone Östradiol (ein Östrogen) und Testosteron nebeneinander anschaut:

Estradiol

Abbildung 3: Östradiol

Testosteron

Abbildung 4: Testosteron

Der Laie erkennt auf den ersten Blick vermutlich kaum einen Unterschied. Dennoch ist bekannt, dass Östradiol als ein Östrogen eines der wichtigsten weiblichen Sexualhormone ist, während Testosteron das wohl bekannteste männliche Sexualhormon ist. Die Funktion der beiden Hormone ist grundverschieden. Versuchen Sie einmal, mit Ihrem Haustürschlüssel die Haustür des Nachbarn aufzuschließen – es wird Ihnen sehr wahrscheinlich nicht gelingen.

Aus Sicht der Pharmaindustrie haben natürliche Hormone wie die bisher beschriebenen einen entscheidenden Nachteil: sie können nicht patentiert werden. Demzufolge ist es auch nicht möglich, sich in der Produktion dieser Naturstoffe einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Mitbewerbern zu verschaffen. Das bedeutet natürlich wenig Profit.

Hormone und Medikamente – der Unterschied

Hier ist der Zeitpunkt gekommen, warum dieser Artikel Hormone und Medikamente heißt. Denn die Pharmaindustrie hat sich einen Trick einfallen lassen, um dieses Dilemma zu umgehen: findige Biochemiker haben die Hormone, die große finanzielle Erträge versprechen, um bestimmte Bausteine erweitert. Sie haben sozusagen das Original verändert. Genau das entpuppte sich aber als riesiges Problem, welches die Pharmaindustrie nur allzu gerne unter den Teppich kehren würde. Denn die Wirkung scheint im ersten Moment der Wirkung des ursprünglichen Hormons zu entsprechen. Leider gibt es aber erhebliche unerwünschte Nebenwirkungen. Eins der wohl bekanntesten Beispiele ist das Ethinyl-Östradiol, welches breite Verwendung in der sogenannten „Anti-Baby-Pille“ findet:

Hormone und Medikamente: Ethinylestradiol

Abbildung 5: Ethinyl-Östradiol

Nun ist die Ethinyl-Gruppe eine hochreaktive funktionelle Gruppe. Wie eingangs erwähnt, sind Hormone hochspezialisierte „Schlüssel“, die exakt zu ihrem „Schloss“ (dem Rezeptor) passen. Stellen Sie sich vor, Sie geben Ihren Haustürschlüssel an einen Schlosser, der Ihnen einen großen, zusätzlichen Zacken an den Schlüssel schweißt, „damit er besser funktioniert“. Sie ahnen, worauf ich hinaus will: der Schlüssel passt nicht mehr in das zugehörige Schloss.

Eine „Nebenwirkung“ dieser Modifikation ist eine starke Erhöhung der Wirksamkeit, sprich: die Dosierung des Wirkstoffs kann viel niedriger ausfallen, als wäre ein natürliches (bioidentisches) Hormon enthalten. Leider hat die zusätzliche funktionelle Gruppe aber auch Nebenwirkungen, die hinlänglich bekannt sind, insbesondere Thrombosen und Krebs. Das perfide daran ist: die negativen Auswirkungen dieser Wirkstoff-Modifikation wurden so verallgemeinert, dass Hormonen ein überaus negatives Image anhaftet, was dazu geführt hat, dass viele Menschen eine große Angst vor Hormonen und Hormonersatztherapie haben. Noch einmal: im gerade beschriebenen Beispiel handelt es sich eben nicht um ein Hormon, sondern um ein Medikament. Denn warum sollte der menschliche Körper (natürliche!) Hormone in geeigneter Dosierung nicht vertragen? Wir produzieren sie jeden Tag selbst.

Hormone und Medikamente – (Neben-)Wirkungen

Dabei gibt es verschiedene Hormon-Zubereitungen, die das Leben deutlich erleichtern können – sofern eben bioidentische Hormone eingesetzt werden und die Dosierung exakt an die individuellen Bedürfnisse angepasst sind. So kann Östradiol-haltiges Gel zusammen mit Progesteron die Wechseljahresbeschwerden lindern, Östriolcreme hilft gegen die menopausal bedingte Atrophie (Gewebeschwund) der Vaginal-, Vulva- und Harnröhrenschleimhäute und damit gegen Scheidentrockenheit oder Blasenentzündung, und Testosteron-haltiges Gel kann Männern mit niedrigem Testosteronspiegel helfen. Und damit komme ich wieder zum Anfang dieses Artikels zurück. Östriolcreme wird lokal angewendet, wodurch nur eine sehr schwache systemische Wirkung eintritt. Das Östriol hat zweierlei Wirkung. Zum einen wirkt das Hormon der altersbedingten Atrophie der Vaginalschleimhaut entgegen, wodurch diese regeneriert und besser durchfeuchtet wird, Trockenheit, Juckreiz und Schmerzen werden vermindert. Außerdem befinden sich am Harnröhrenausgang und der Harnröhre ebenfalls Östrogen-Rezeptoren, sodass bei Östrogenmangel auch die Harnröhre und -blase in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Durch die Veränderung der Schleimhäute wird Keimen das Eindringen in Harnröhre und Scheide erleichtert, was zu den beschriebenen Symptomen führen kann. Bitte sprechen Sie Ihren Gynäkologen oder Ihre Gynäkologin unbedingt darauf an!

Einige Vorbehalte gibt es allerdings auch in Bezug auf bioidentische Hormone. Sofern sich bereits ein hormonsensitiver Tumor im Körper befindet, ist eine externe Hormongabe selbstverständlich tabu und es gibt noch eine Reihe weiterer Diagnosen, bei denen sich eine Hormontherapie verbietet.  Hier kann nur ein Arzt entsprechende Auskunft geben.

Ebenso ist die missbräuchliche Einnahme, insbesondere von Steroid-Hormonen zur Leistungssteigerung im Sport, nicht zu empfehlen, zumal die entsprechenden Wirkstoffe z.T. in viel zu hoher Dosierung verabreicht werden. Wie schon Paracelsus vor rund fünfhundert Jahren sinngemäß sagte:

„Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei.“

Ein wunderbar zu lesendes und sehr informatives Buch zum Thema Wechseljahre der Frau ist „Woman on fire“ (Liz & Stömer, 2020).

Umfangreiche Informationen und wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema bioidentische Hormone finden Sie auf der Webseite von Dr. Alexander Römmler sowie im von Dr. Volker Rimkus und Dr. Thomas Beck gegründeten Hormon-Netzwerk.

Literatur:

  1. Römmler, A. (2013). Die Wahrheit über Hormone: Wie Hormone richtig eingesetzt werden und wann sie schaden; die wichtigsten Therapien für die Wechseljahre(Erw. Neuausg). Südwest.
  2. Liz, S. de, & Stömer, L. (2020). Woman on fire: Alles über die fabelhaften Wechseljahre(Originalausgabe). Rowohlt Polaris.
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