Trennung tut weh, Bleiben aber auch

Trennung tut weh, Bleiben aber auch

Christiane JurgelucksVielleicht denken auch Sie dieser Tage über Ihre Liebesbeziehung nach und fragen sich, ob Sie so mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin weiterleben möchten, lassen Ihre Gedanken in Richtung möglicher Trennung schweifen, um sie gleich wieder zu verwerfen. Zu undenkbar die möglichen Konsequenzen und zu wenig Mut, weiterzudenken.

Gestern sprach ich mit einer Klientin, die ich vor einigen Jahren gemeinsam mit ihrem Mann beraten hatte. Zum Abschied sagte sie am Telefon: „Wie schade, dass Sie nicht mehr schreiben. Ich schaue immer mal wieder auf Ihre Website und hoffe einen neuen Text zu finden…. Ich habe mich da immer so wieder gefunden.“

Ich möchte diesen sehr persönlichen Wunsch zum Anlass nehmen, mal wieder etwas von mir hören zu lassen. Denn ich schreibe immer noch sehr gern und viel, allerdings vorwiegend privat für mich selbst, Zeugnisse meines Erlebens, Reflexionen und schriftliches Zweifeln und Träumen. Vieles von dem, was mein Herz berührt und meinen Kopf bewegt, empfinde ich als sehr persönlich und ich fühle mich unsicher, ob ich das öffentlich teilen möchte. Das ist eine Seite in mir. Die andere profitiert selbst sehr von persönlichen und ehrlichen Texten. Ich fühle mich dann verbunden, verstanden und nicht mehr so allein und deshalb kann ich den Wunsch meiner ehemaligen Klientin gut verstehen und schenke ihr diesen Text, auch weil er ein bisschen mit ihrer eigenen Frage zu tun hat.

Wie jedes Jahr ist die Weihnachtszeit und die Zeit zwischen den Jahren eine sehr besondere Zeit gewesen, dieses Jahr ohnehin noch stiller. Zeit, zu reflektieren, Zeit Wünschen und Träumen nachzuspüren. Zeit, zu trauern: um Menschen und Beziehungen. Wir lassen liebgewonnene Vorstellungen teils sehr schmerzhaft ziehen. Wir räumen auf. Nicht nur unsere Schränke und Keller, sondern fragen uns vielleicht auch, ob wir so, wie wir leben, weitermachen möchten.

Wie jedes Jahr vor Weihnachten suchten teils mir schon bekannte aber auch neue Klienten Hilfe bei der Beantwortung der Frage, ob sich das Kämpfen für eine Beziehung noch lohnt oder ob es schon zu spät sei. Entgegen einer häufig in der Öffentlichkeit vertretenen Meinung machen es sich Menschen mit dieser Entscheidung überhaupt nicht einfach. Ich erlebe keine leichtfertigen Trennungen. Dieses vergangene Corona-Jahr hat Paaren Besonderes abverlangt. Die einen profitieren von mehr und intimer verbrachter Paar- und Familienzeit und den anderen wird schmerzhaft bewusst, dass der eigene einst geliebte Partner fremd geworden ist und man einander nicht mehr viel zu sagen hat und trotzdem auf engem Raum gebunden ist. Durch für viele Menschen selbstverständlich gewordenes Homeoffice gibt es keine Fluchtmöglichkeit mehr und eine Frage drängt sich auf: Wie lange halte ich das noch aus?

Um diese Frage ging es auch in dem Gespräch mit meiner ehemaligen Klientin, die mich am Telefon offen fragte: „Was raten Sie mir? Was kann ich noch tun? Ich fühle mich immer fremder und halte es oft kaum noch aus, aber ich kann mir das Leben ohne meinen Mann überhaupt nicht vorstellen. Wir sind schon unser ganzes Leben zusammen (…) ich habe nicht den Mut, mich zu trennen.“ Und weiter: „Als ich damals mitbekommen habe, dass Sie sich trennen und mit ihrem ganzen Leben nach Hamburg gehen, da habe ich gedacht, dass ich den Mut dazu niemals hätte. Ich bin loyal und ich hänge so an meiner Familie, es gab niemals die Vorstellung, dass ich jemals einen anderen als meinen Mann möchte, aber wir sind unglücklich. Mein Mann wahrscheinlich auch, aber wir kriegen kein Gespräch darüber hin. Wenn ich anfange, dann fühlt er sich angegriffen und sagt, ich müsse mich ändern. Wir kommen keinen Schritt weiter und gehen wortlos jeder in seine Ecke.“

Da ich das Paar lange beraten habe, kenne ich auch ihren Ehemann gut und ich sehe die beiden wortlos in ihrem schönen Haus, von dem sie mir während der Beratung Bilder gezeigt haben und ich spüre, wie leer und traurig sich das wohl anfühlt, weil es beide aufgrund ihrer Verschiedenheit schwer haben, emotional und intim zueinanderzufinden. Auch die Beratung bei mir konnte daran nichts ändern, gefühlte Verbesserungen hielten immer nur einige Wochen, meine Klientin beklagte damals schon emotionales Einfrieren und ihr Ehemann fühlte sich unter Druck gesetzt und widersetzte sich diesen Ansprüchen still und leise durch Nicht-Handeln. Ein wirklich ganz typisches Muster in Paarbeziehungen: Frau macht Vorwürfe und Mann zieht sich zurück. Und jeder Versuch macht es schlimmer.

Ich hörte mich sagen: „Vielleicht sollten Sie die Hoffnung aufgeben. Die Hoffnung macht den Schmerz. So lange Sie hoffen, etwas ändern zu können, so lange sehen Sie nicht, was ist. So lange machen Sie Vorwürfe und so lange entzieht sich Ihr Mann.“ Ich erzähle ihr von einem Satz, den ich in dem Buch „Trennt euch!“ gelesen habe. Da steht „zueinander zu passen bedeutet nicht automatisch auch, sich zu lieben. Und sich zu lieben, bedeutet nicht automatisch, auch zueinander zu passen.“ Ich mag diesen Satz sehr, denn er macht auf etwas aufmerksam, das wir oft nicht wahrhaben wollen: Liebe kann Berge versetzen, aber meist reicht die Kraft nicht dafür aus, die Berge an ihrem neuen Ort zu halten.

Vor allem wir Frauen tun uns oft schwer damit, dass wir uns unseren Mann nicht noch besser, schöner, emotionaler, interessierter und gesprächiger lieben können. Wir Menschen haben eine Neigung, uns selbst treu zu bleiben, sofern nicht ein wirklich starker eigener Veränderungswunsch vorhanden ist. Und das bedeutet, dass wir unterschiedlich sind und dass es keine Frage von Liebe und Zuneigung ist, wenn wir uns mit der eigenen inneren Veränderung schwer tun oder es schlichtweg nicht wollen. Wir möchten geliebt werden, wie wir sind. Wir möchten nicht übermäßig von unseren Liebsten kritisiert werden und wir möchten uns nicht verbiegen.

Und solange wir hoffen, dass wir unseren Partner noch in die gewünschte Richtung verändern, lenken und manipulieren können, solange sitzen wir in einer sehr unerfreulichen und schmerzhaften Konfliktfalle, die uns unglücklich macht und gleichzeitig daran hindert, darauf zu schauen, was für uns in der Beziehung wirklich wichtig ist. Auch das ist für jeden Menschen anders.
Beeinflusst von dem, was wir in unseren frühen elterlichen und geschwisterlichen Beziehungen positiv erfahren haben und abhängig davon, wonach wir uns schon ein Leben lang sehnen, setzen wir unterschiedliche Schwerpunkte in Partnerschaft und Liebe.

Meine ehemaligen Klienten waren und sind beruflich ein extrem gutes Team. Beide unterstützen sich sehr und übernehmen anteilig Haus- und Familienarbeit. Sie ziehen an einem Strang, wie man so schön sagt und sie können sich jederzeit aufeinander verlassen. Kein Wunder, dass meine Klientin sich nicht vorstellen kann, dass beide den Alltag nicht mehr teilen.

Außerdem kamen beide vor knapp 30 Jahren aus den „neuen Bundesländern“ in den Süden von Deutschland und schafften es gemeinsam, ein erfolgreiches Leben aufzubauen. Eine gemeinsame Jugendgeschichte, gegenseitige Unterstützung beim Studium, gemeinsames Lernen und schließlich Aufbrechen in ein neues fremdes Leben, das schweißt zusammen.
Ein bisschen muss ich an Hänsel und Gretel denken, die Hand in Hand durch den Wald gehen und sich auf diese Weise weniger fürchten.
Kurze Zeit später bekamen sie das erste Kind und dann 12 Jahre später noch ein weiteres. Dazwischen baute meine Klientin ihre Praxis auf und ihr Ehemann fasste ebenfalls beruflich gut Fuß.

Sie hatten ihr Leben lang gut zu tun, den Alltag zu organisieren, so dass ihre Unterschiedlichkeit nicht so offenkundig ins Gewicht fiel. Wahrscheinlich hätten sie niemals nach Beratung gesucht, wenn meine Klientin nicht erfahren hätte, dass ihr Mann online emotionalen Austausch mit anderen Frauen gesucht hatte.
Er negierte damals die Bedeutung der Online-Affäre mit den Worten: „Da ist doch nichts passiert!“ Und verstand nicht, dass diese Frau das zu bekommen schien, wonach sich seine Frau verzehrte: emotionale Intimität, tiefgründige Gespräche und wahrhaft geteiltes Leben, Berührungen an Körper und Seele.

Ein typischer Aufwachmoment: „Ich habe immer gedacht, er kann und will das nicht und jetzt sehe ich, er kann es ja doch.“ Ein schmerzhafter Moment, wahrzunehmen, dass mein Partner etwas mit anderen teilt, das mit mir nicht möglich scheint, was ich aber so sehr möchte.

Wir versuchten damals herauszufinden, welche gemeinsamen Muster ihn in der Paarbeziehung daran hinderten, mit seiner Frau das Von-ihr-Ersehnte zu teilen. Es war die große Unterschiedlichkeit des Temperaments und der damit verbundenen Bedürfnisse: Meine Klientin mit hohem Tempo, großer Lebendigkeit, emotional ein bisschen mit der Tür ins Haus fallend, mein Klient ruhig und wortkarg und im Gespräch häufig wortsuchend, aber auf die Schnelle nicht findend, und daraus folgend schweigender Rückzug, manchmal erstarrend. Worauf sie oft in ihrer empfundenen Ohnmacht Vorwürfe machte, die aber stets nur zur Verschlimmerung des Problems führten.

Wie gesagt, es gelang uns in der Beratung nicht, diesen Kreislauf der gegenseitigen Enttäuschung dauerhaft zu durchbrechen und so versuchte sie durchzuhalten, sich selber gut zu tun, eigene Interessen zu pflegen und fühlte sich trotzdem leer.

Wenn jemand nach langer Zeit wieder Kontakt zu mir sucht, frage ich mich und später auch den Klienten: „Warum jetzt? Was ist der Anlass? Hier gab es keinen besonderen Anlass. Vielleicht war es die Reflexion des Jahres, vielleicht das Bewusstsein – auch mein kleiner Sohn wird bald weg sein, vielleicht auch der bewusste Eintritt in das letzte Lebensdrittel. Und die Erinnerung, dass die Gedanken im Gespräch mit mir zum Ausdruck kommen könnten, vielleicht Hoffnung auf Ordnung und Lösung.

„Wissen Sie, ich kann Ihnen keinen Rat geben, aber wie wäre es, wenn Sie die Hoffnung aufgäben, Ihren Mann ändern zu können und ohne Vorwürfe mit ihm darüber sprechen könnten, wie es Ihnen geht und ihn danach fragen würden, wie es ihm mit Ihnen geht? Vielleicht könnten sich dann neue Türen öffnen, vielleicht würden Sie aber auch merken, dass Ihre Unterschiede so groß sind, dass es keine zufriedenstellende Lösung für beide geben kann. Vielleicht lebt der eine ganz zufrieden, während der andere verhungert. In diesem Falle bliebe wahrscheinlich nur die Trennung – oder, wenn man das Risiko nicht eingehen möchte – ganz schön großer Schmerz. Egal, welchen Weg Sie einschlagen werden, es wird weh tun.“

Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, Trennung tut sehr weh, selbst wenn man sie selbst einleitet, wie ich das vor über vier Jahren getan habe. In meinem Falle hätte Da-Bleiben noch mehr geschmerzt. Wie meine Klientin fühlte ich mich zunehmend lebloser, eingefroren im Funktionsmodus und nach emotionaler Tiefe sehnend, wie sie mein damaliger Mann nicht geben konnte und wollte.
Ich habe mich damals nicht bewusst und rational für die Trennung entschieden. Sie passierte, als die Lebendigkeit mit aller Macht durch den Beton brach und mehr wegspülte, als ich damals wollte. Ich habe Leid verursacht, aber ich habe auch Leid erfahren müssen. Mein Kind hatte kein Mitbestimmungsrecht und ich habe immer noch keinen zufriedenstellend guten Kontakt zu meinem ersten Mann, auch wenn mir sehr daran gelegen wäre.

Wie ich schon gesagt habe: Sich zu lieben, heißt nicht automatisch auch zueinander zu passen und umgekehrt. Leider ist es so, dass es zum Zusammenbleiben immer Zwei braucht, für die Trennung hingegen reicht einer und so ist es wohl in den meisten Fällen so, dass der, der geht, den größten Schmerz zu hinterlassen scheint und der Zurückbleibende die Trennung nicht versteht, weil er noch liebt.

Diese Schuld auf sich zu nehmen fiel und fällt mir nicht leicht, Verantwortung für das Gegangen Sein trage ich mit allen Konsequenzen und das ist oft schmerzhaft. Dennoch habe ich die richtige Entscheidung getroffen oder besser ausgedrückt: Etwas in mir hat diese Entscheidung getroffen. Ich fühle mich befreit und zugleich in einer neuen liebevollen, ehrlichen und intimen Ehe zutiefst gebunden. Beim Kennenlernen meines jetzigen Mannes habe ich auf das Zusammenpassen geachtet. Die Liebe ist gefolgt.


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