Was unterscheidet eigentlich eine Eheberatung von einer Paartherapie oder eine Sexualberatung von einer Sexualtherapie?
Vielleicht haben Sie sich diese Frage auch schon einmal gestellt, als Sie selbst auf der Suche nach einer der oben genannten Dienstleistungen waren. Inwieweit unterscheidet sich Beratung von Therapie? In meinem heutigen Beitrag möchte ich auf diese Frage eingehen und wesentliche Unterschiede benennen.
Beginnen wir mit Klaus und Ulf: Die beiden kamen zu mir in die Praxis, weil sie an ihrer Sexualität fast verzweifelten. Klaus litt unter dem mangelnden Begehren seines Mannes, mochte durch die häufigen Zurückweisungen nicht mehr den ersten Schritt machen und hielt sich deshalb zurück. So schliefen die beiden recht selten miteinander und litten darunter. Klaus litt, weil er nicht wusste, was er noch probieren könnte, um Ulf erfolgreicht zu verführen, und Ulf litt, weil Klaus litt. Beide redeten häufig über das Problem, konnten es aber nicht lösen, und so war das Paar der Ansicht, dass professionelle Hilfe gut tun könnte.
Im Erstgespräch fanden wir sofort einen Draht zueinander: Die beiden kommunizierten offen und neugierig. Es war für mich augenscheinlich, dass sie sich sehr mochten und ihre Beziehung außerhalb ihres hartnäckigen Problems liebevoll und sicher war.
Im Laufe unseres Gespräches fand ich heraus, was das eigentliche Problem war: Ulf gehörte zu jenen Menschen, die ich – bildlich dargestellt – gerne als Jäger bezeichne. Ein Jäger zeichnet sich in seinem erotischen Erleben dadurch aus, dass er eigentlich kreativ ist, sich in der Routine aber schnell langweilt. Er ist offen für Neues und verzichtet lieber ganz auf Sex, statt sich in ewiger Wiederholung zu langweilen.
Jetzt denken Sie vielleicht, dass es um neue Partner gehen könnte oder sexuelle Untreue – doch das ist nicht die Lösung. Auch Klaus und Ulf waren sich treu und legten großen Wert darauf.
So beschloss ich mit beiden über ihr sexuelles und erotisches Potenzial zu sprechen, das heißt den Bereich unserer sexuellen Persönlichkeit, der alles beinhaltet, was uns erotisch belebt: Erfahrungen, die wir bereits gemacht haben und solche, die noch unerfüllt in unseren Phantasien leben. Nun leben die wenigsten Menschen ihr volles erotisches Potenzial, sondern nur eine Schnittmenge, die manchmal mit unseren Partnern sogar sehr klein sein kann.
So war es auch bei den beiden. Obwohl sie sehr offen miteinander umgingen, hatten sie noch nie über ihr Potenzial, ihre Wünsche und Phantasien gesprochen, Klaus fiel das sogar recht schwer. So gab ich beiden eine Aufgabe mit nach Hause, die sie dazu anleitete, ihr erotisches Potenzial zu ergründen und darüber ins Gespräch zu kommen. Wir verabredeten uns für 14 Tage später, um zu schauen, welche Erfahrungen sie gemacht hatten.
Nach zwei Wochen begrüßte ich ein glückliches Paar. Seit dem letzten Termin waren sie in intensivem Kontakt miteinander und voller erotischer Spannung. Die Übung habe Wunder gewirkt, und sie fragten sich, warum sie eigentlich nicht selbst auf die Idee gekommen waren.
An diesem Termin sprachen wir über Schamgefühle, Wünsche auszusprechen und überhaupt Worte für diese Wünsche zu finden. Danach gab ich beiden noch eine bewährte Übung mit nach Hause, die sehr hilfreich darin unterstützt, Wünsche zu formulieren – und zu erleben, dass sie wahr werden können. Wir verabredeten diesmal einen Zeitraum von einigen Wochen bis wir uns wieder treffen wollten.
Zum dritten und letzten Treffen kam wiederum ein gut gelauntes Paar. Das erotische Erleben, die Häufigkeit und Qualität ihres intimen Beisammenseins hatte sich grundlegend geändert, für beide völlig verblüffend. Sie äußerten große Dankbarkeit, und wir verbrachten die letzte Hälfte des Termins plaudernd. Sie brauchten mich jetzt nicht mehr – ein typisches „Beratungspaar“ wie wir es in der Eheberatung oder Sexualberatung finden können.
An diesem Beispiel möchte ich zeigen, wobei Beratung hilft. Beratung kommt dann zur Wirkung, wenn es ein konkretes Problem gibt, für das eine konkrete Lösung gesucht wird und auch gefunden werden kann. Beratungsprozesse reichen dann aus, wenn die Basis eines Paares durch das Problem noch nicht erschüttert ist, die beiden sich mögen und gemeinsam am Problem arbeiten möchten, also nach einer konstruktiven Lösung suchen.
Der Berater ist in diesem Prozess ein Begleiter, der das Problem diagnostiziert und passende Interventionen oder Übungen auswählt, die das Paar oder der einzelne dann zuhause umsetzt. Beratungsarbeit ist auf eine gute und selbsttändige Umsetzung angewiesen. Der Berater oder die Beraterin fungiert als eine Begleitung, die – bildlich gesprochen – mit der Taschenlampe den Weg ausleuchtet, den das Paar grundsätzlich allein gehen kann.
Im Beratungsprozess kommt es weniger als im Therapieprozess auf den Rahmen oder die Beziehung aller Beteiligten an. Grundsätzlich ist es natürlich immer hilfreich, wenn Sympathie oder gemeinsamer Humor vorhanden sind, aber eine Bindungsbeziehung ist für Beratung nicht notwendig, selbst wenn Beratung je nach Schwere des Problems nicht nur auf wenige Termine beschränkt ist.
Ein weiteres Kennzeichen von Beratung ist, dass die Termine weniger häufig und in größeren zeitlichen Abständen stattfinden können. Selbst bei sehr schweren Problemen kann Beratung eingesetzt werden, auch Beratungsprozesse können manchmal lange dauern.
Nun möchte ich Ihnen Clemens und Sabine vorstellen: Auch bei diesem Paar geht es um Sex. Clemens fühlt sich ungeliebt und abgelehnt, wenn Sabine ihn nicht begehrt. Sabine fühlt sich total unter Druck, wenn Clemens ihr erotisch näher kommen möchte und weist ihn oft schroff ab.
Einen vertrackter Kreislauf aus Vorwürfen, Misstrauen, schroffer Abweisung, Beziehungsabbrüchen und vielen Verletzungen brachten die beiden bereits zur ersten Sitzung mit: Vorwürfe wechselten sich mit Schweigen und aggressiven Kämpfen ab. Beide rangen um das Verständnis und die Liebe des anderen bei gleichzeitiger Unfähigkeit, ihren Liebespartner aufgrund der eigenen Bedürftigkeit zu sehen.
Ich sah zwei „verhungerte Kinder“ und fragte mich, welche Erfahrungen sie wohl in ihrem bisherigen Leben mit Liebe und Bindung gemacht hatten. Danach konnte ich allerdings im Erstkontakt kaum fragen, ich hatte ziemlich mit der Steuerung des Prozesses zu tun, war konfroniert mit einem schweigenden und kopfschüttelnden Mann, der zu sagen schien: „Sehen Sie, wie verrückt die ist?“ Und einer Frau, die angriffslustig und kämpfend betonte, was sie alles schon für ihren Mann getan habe und dabei keinerlei Beziehung zu mir zuließ, sondern misstraurisch beobachtete, wie ich agierte.
Willkommen in einer Therapiesitzung!
Sehr augenscheinlich habe ich zwei zutiefst verletzte Menschen vor mir, die um ihr emotionales Überleben kämpfen, die Angst haben, ihre Sehnsucht nach Liebe und Bindung zu zeigen, die keine Hoffnung haben, dass sie verstanden und gesehen werden, die aber mit dieser tiefen Verunsicherung jeweils anders umgehen.
Clemens hat Anpassung gelernt, so tun als ob, damit er wenigstens die Chance hat, Nähe und Zuneigung zu spüren. Für Sex muss in seiner Welt immer bezahlt werden, er wird ihm nicht geschenkt.
Sabine versucht so gut wie möglich, zu funktionieren, und wenn das nicht mehr geht und der Druck zu groß wird, weiß sie keinen anderen Rat, als zu kämpfen oder wegzulaufen. In ihrer Welt wird sie nur geliebt, wenn sie etwas leistet, ja eigentlich sogar nur, wenn sie immer das Maximum leistet.
Beide fühlen sich nicht wert, eigene Bedürfnisse haben zu dürfen, und es fällt ihnen schwer auszuhalten, wenn eigene Bedürfnisse der Erfüllung der Sehnsucht des anderen im Wege stehen. Beide fühlen Angst und zweifeln an der Beziehung.
Wenn ich diesem Paar zu diesem Zeitpunkt eine Übung mit nach Hause geben würde, dann wäre die Gefahr sehr hoch, dass sie diese nicht konstruktiv nutzen können, sondern im Gegenteil, dass sie als Paar weiter verunsichert würden. Höchstwahrscheinlich würden sie den Therapierahmen als nicht sicher wahrnehmen und früher oder später nicht mehr kommen. „Auch Paartherapie hilft nicht“, könnten sie resigniert feststellen.
Wenn immer die Bindung zweier Menschen verunsichert oder verletzt ist, sowohl durch Erfahrungen in Kindheit und Jugend als auch durch vergangene oder aktuelle wichtige Bindungsbeziehungen, initiiere ich einen therapeutischen Prozess, der dem Paar dazu verhelfen sollte, möglichst heilsame Bindungserfahrungen in der Gegenwart zu machen.
Das bedeutet ganz konkret, dass ich den Therapierahmen so gestalte, dass das Paar eine sichere und vertrauensvolle Beziehung zu mir als Therapeutin aufbauen kann, die auch in schwierigen Situationen trägt. Dazu gehören einfache Dinge wie Verlässlichkeit, gute und sichere Absprachen, Erreichbarkeit und eine häufigere Frequenz der Therapiesitzungen.
Die Rolle der Therapeutin ist anspruchsvoller als die der Beraterin. Der therapeutische Prozess erfordert eine sorgfältige Steuerung. Als erstes, noch bevor reale Konflikte besprochen werden können, braucht es eine Beruhigung der Angst und Verzweiflung beider Partner. Der therapeutische Rahmen ermöglicht dann Halt, und wenn es gut läuft, dann kann das Paar allmählich die Erfahrung machen, sich vertrauensvoll zu öffnen und darin unterstützt und verstanden zu werden. Im guten Fall werden positive Bindungserfahrungen gemacht, sowohl mit der Therapeutin als auch untereinander. Das bedeutet ganz konkret, dass jeder einzelne die Erfahrung macht, wichtig zu sein und angenommen zu werden. Erst diese Erfahrung ermöglicht die Rüstung abzulegen und mehr Intimität zuzulassen. Insofern hat Therapie viel mit Liebe zu tun, auch wenn sich das etwas pathetisch anhört.
Im zweiten Schritt kann man sich dann den ganz konkreten Problemen widmen, hier kann dann Therapie allmählig in einen Beratungsprozess überleiten.
Möglicherweise denken Sie jetzt: Die Unterscheidung macht Sinn, und es wäre in der Praxis immer ganz einfach, zu bestimmen, welcher Prozess angezeigt ist. So ist es leider nicht. Es gibt Menschen, die hochkompetent wirken, die gelernt haben ihr Leid, ihre Ängste und ihre Verzweiflung gut zu verstecken. Und andere, die sich schwächer geben als sie sind. In meiner Beschreibung habe ich versucht, die Positionen möglichst deutlich voneinander zu unterscheiden. So deutlich ist es in der Realität meist nicht.
Vielleicht fragen Sie sich jetzt, warum ich diesen Beitrag überhaupt schreibe. Mir ist wichtig für Zeit und Geduld zu werben, wenn Sie sich in einem therapeutischen Prozess befinden sollten. Bindungsverletzungen lassen sich nicht in 3 Stunden lösen. Da helfen keine therapeutischen „tools“ oder ein paar Kommunikationsregeln und Hausaufgaben. Bei Bindungsverletzungen hilft nur Bindung und Beziehung selbst, und meine Aufgabe ist, diese wieder zu ermöglichen. Und erst wenn der Rahmen trägt, kommen Hausaufgaben, Kommunikationsregeln und diverse Übungen dazu.
Bildlich gesprochen, leuchte ich, wie in der Beratung den Weg aus. Bevor der Weg jedoch gegangen werden kann, müssen Hindernisse beseitigt werden. Typische Hindernisse sind verletzte Gefühle, Affären, existentielle Ängste, Alleingelassen fühlen in Notsituationen und heftige Enttäuschungen.
Vielleicht haben Sie jetzt den Eindruck gewonnen, so eine Paartherapie müsse ewig dauern; So ist es jedoch nicht. Ich habe gelungene Therapieprozesse erlebt, die nicht länger als 10-15 Sitzungen gedauert haben, andere dauern um ein vielfaches länger. Beratungsprozesse dagegen beschränken sich meist 1-5 Sitzungen.
Und wie geht es mit Clemens und Sabine weiter? Sie sind auf einem guten Weg, hören einander mittlerweile zu und erkennnen die „Hindernisse“. Es wird noch eine Weile dauern, aber ich bin zuversichtlich, dass sie es schaffen. Hinter all dem Kampf ist sehr viel Zuneigung und Liebe sichtbar geworden.
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