„Der erotische Salon“ – Eine intime Nische zwischen dem Gespräch unter Freundinnen und dem therapeutischen Gepräch innerhalb der Sexualberatung oder der Sexualtherapie
Ende der achtziger Jahre hatte ich – damals noch Single – einige recht interessante Freundschaften mit Männern und Frauen. Wir unterschieden uns beinahe in allem
– die einen waren seit vielen Jahren selbstängig im Beruf, andere bezeichneten sich als Lebenskünstler und wieder andere studierten gerade, so wie ich. Eines aber einte uns: Wir waren an existenziellen Themen interessiert, so kamen wir dann irgentwann auf die Idee, nicht nur einfach darüber zu „quatschen“, was uns gerade so bewegt, sondern dies in einem regelmäßigen Rahmen zu tun. Zukünftig trafen wir uns alle 4 Wochen sonntags privat zuhause und sprachen über ein vorher festgelegtes Thema oder ein Buch. Einer von uns übernahm immer die Vorbereitung und die Moderation. Nach drei Stunden intensiven Gespräches gingen wir dann noch miteinander essen, um so den Abend und das Thema ausklingen zu lassen.
Ich habe diese Treffen immer sehr genossen, und ich habe nie wieder einen solchen privaten Rahmen dafür gefunden. Das waren die ersten Salons, an denen ich teilnahm. Leider trennten sich unsere Wege irgentwann, und wir verloren uns aus den Augen. Schade!
Viele Jahre später, ich saß im sexualtherapeutischen Ausbildungskurs, waren wir Kursteilnehmer damit beschäftigt, unterschiedliche pornografische Filmausschnitte anzusehen. Unsere Aufgabe lautete: „Achtet darauf, wie ihr auf das unterschiedliche Material reagiert, was euch gefällt und was nicht und versucht zu beschreiben, warum euch eine Szene erregt!“ Die Ergebnisse sollten dann in einer Gruppe, die nach Geschlechtern getrennt wurde, diskutiert werden. Diese Erfahrung war eine der intensivsten innerhalb meiner ersten sexualtherapeutischen Ausbildung, denn diesmal ging es um uns selbst, unsere Einstellung zu bestimmten erotischen Themen, und das in einem sehr offenen Austausch. Ich dachte sofort: Das ist es! So will ich arbeiten! Diese Erfahrung wiederholen!
Da ich zu dieser Zeit aber noch keine eigene Praxis hatte, legte ich die Umsetzung noch ein wenig auf Eis. Seinerzeit arbeitete ich in der Ehe- Familien- und Lebensberatungsstelle in Karlsruhe und versuchte vorsichtig, für die Idee eines „erotischen Salons“ zu werben. Was soll ich sagen: Ich bin erbärmlich gescheitert. Meine Kollegen wollten aller Ernstens mit mir darüber diskutieren, ob dieses Thema mit dem Auftrag der Kirche zu vereinbaren sei. Ich möchte allerdings nicht unerwähnt lassen, dass die damalige Leiterin und einige wenige andere ziemlich begeistert waren. Wir waren aber in der Minderheit.
Vor vier Jahren dann war die Zeit reif. Ich saß auf meinem Fahrrad, unterwegs in die Beratungsstelle, in der ich – zusätzlich neben meiner Selbstständigkeit – Gruppen für Menschen mit Ängsten leitete, und dachte: „Jetzt machst du mal was richtig Freudvolles!“ So überlegte ich ein paar Rahmenbedingungen, verband, was ich schon kannte, und innerhalb einer Viertelstunde, wusste ich, was und wie ich es machen wollte. Das war die Geburt des heutigen „erotischen Salons“. Da ich bereits in eigener Praxis arbeitete, musste ich niemanden mehr um Unterstützung bitten, konnte meine Idee innerhalb weniger Monate mit den ersten Frauen umsetzen. Dafür bin ich wirklich dankbar.
Nachdem ich Sie mit auf die Entwicklungsreise meiner Idee genommen habe, möchte ich Ihnen jetzt erzählen, was den erotischen Salon so besonders macht, und warum einige Frauen von Anfang an dabei sind.
Zuersteinmal war es mir wichtig, einen Rahmen zur Begegnung mit erotischen Themen zu schaffen, der nichts mit Sexualberatung oder Sexualtherapie zu tun hat.
Wir Frauen fühlen uns oft nicht gut mit dem Thema Lust und Erotik. Viele von uns leben mit Männern in Partnerschaften, die mehr Interesse an Sexualtität signalisieren. Frau fühlt sich dann leicht unter Druck gesetzt, diesen Ansprüchen irgentwie zu genügen, oft bis es nicht mehr geht, begleitet von Selbstzweifeln: „Bin ich überhaupt normal?“ In einer Welt, die voller Sex zu sein scheint. „Alle tun es, nur ich nicht!“ oder „Alle haben Spaß, nur ich kriege es nicht hin!“ Das Ganze verbunden mit dem Wunsch, dem Partner, den frau liebt, doch das zu geben, was er sich wünscht. Sind wir nicht ständig dazu aufgefordert, mehr aus uns zu machen? Mehr Optik, mehr Bildung, mehr Erfolg, mehr bessere Mutter, mehr tolle Geliebte! Eine Menge Druck in unseren überaus ausgefüllten Leben.
Im Salon gibt es keinen Druck. Jede darf sein, wie sie will. Darf Lust haben oder keine. Darf Männer begehren oder nicht. Darf frei erzählen, dass sie Sex für völlig überbewertet hält oder darf andere Frauen an erotischen Erfahrungen teilhaben lassen.
Ich weiß manchmal selbst nicht, wie wir das miteinander geschafft haben, aber der „erotische Salon“ ist wirklich frei von Druck und der Frage: „Bin ich noch normal?“
Wenn es keine Frage nach der Norm gibt, sind in der Regel auch weniger Konkurrenz und Leistungsdruck vorhanden. Mir ist es wichtig, dass Frauen sich miteinander solidarisieren können, sich gegenseitig unterstützen und stolz auf sich sein können.
Im letzten Salon vor einer Woche diskutierten wir erstmalig einmal darüber, welche Art von Sex wir nicht mögen, was uns weh tut und verletzt. Da sagte eine Teilnehmerin: „Wenn es eine Fachfrau für schlechten Sex gibt, dann bin ich das. Ich habe es in meinem ganzen Leben, bis vor ein paar Jahren, nicht geschafft in irgenteiner Weise das zu erleben und das zu fühlen, was ich mir wünsche. Ich kam mir vor wie jemand, der nicht hineinkommt in die normale Gruppe von Menschen. Ich schaffte es einfach nicht und tat aber so. Machte Dinge, die ich nicht wollte, fühlte mich mies und allein, konnte aber auch nie darüber reden. Ich dachte, der Sex, das ist nichts für mich in diesem Leben.“ Was mich an diesem Kommentar so freute, war der Gesichtsausdruck dieser schon etwas älteren Frau. Sie drückte aus, dass es nichts zu verstecken gibt, dass genau diese Erfahrungen sie geprägt haben, und sie völlig eins damit war. Nun war sie stolz, dass sie sich auf ihren ganz eigenen Weg der Erotik gemacht hatte und die erste „Ernte“ einfuhr. Wir freuten uns ganz ohne Neid und Vergleich mit ihr. Das sind schöne Erfahrungen.
Da der Salon fortlaufend circa alle 6 Wochen stattfindet, gehen wir jetzt schon ins vierte Jahr miteinander. Als Frau und Sexualtherapeutin freue ich mich sehr, diese sehr persönlichen und intimen Entwicklungen der Teilnehmerinnen begleiten zu dürfen. Ein echtes Geschenk. Es ist genügend Zeit für Reifungsprozesse, aber keinerlei Hektik oder gar Zielorientiertheit vorhanden. Wir Frauen entwickeln uns miteinander, ganz einfach so, wie es geschieht.
Wenn also genügend zielloser Raum für Entwicklung vorhanden ist, dann kann frau schon mal auf neue Gedanken kommen. So tauchte einmal der Gedanke auf, wie es denn wohl in einem Swingerclub sei. Das fanden manche Frauen interessant und spannend und andere beängstigend. So wurde ein Sondertermin vereinbart, an dem etliche Frauen in den „Maihof“ fuhren, um bei geschlossenen Betrieb, alles über das Swingen zu erfahren, Örtlichkeiten zu besichtigen und jede Frage stellen zu dürfen. Es war ein sehr gelungener Abend, und ich bin mir sicher: Keine von uns hätte sich dies allein getraut. Im nächsten regulär stattfindenen Salon berichteten wir ausführlich und die Daheimgebliebenen konnten aus zweiter Hand von unseren Erlebnissen profitieren.
In diese Kategorie von neuen Gedanken fiel auch der Besuch von Lady Leona. Was ist eigentlich BDSM, fragten sich einige Frauen und wie setzt man so etwas um. Also stellte lud ich Lady Leona aus Stuttgart ein, die uns Frauen sehr offen, differenziert und einfühlsam über Bondage, Schmerz und Lust, Sadismus und Masochismus berichtete. Sie hatte ihren Spielzeugkoffer dabei und ließ uns ausprobieren. Es war schön, zu sehen, wie frau ihre anfängliche Scheu überwand und sich traute, immer mehr Fragen zu stellen. Einige waren so interessiert, dass sie Leona in ihrem Studio in Stuttgart besuchten, um BDSM live zu erleben.
Anfang diesen Jahres widmeten wir uns dem Burlesque, jener Tanzdarbietung, die Erotik mit Ästhetik, Humor und weiblicher Kontrolle verbindet. Wir lernten, wie wir uns in Szene setzen können, welche erotischen Bewegungen zu uns passen und wieviel Spaß das machen kann, auch wenn nicht alles gleich gut klappt.
Für diese Erfahrungen bin ich dankbar, sie zeigen mir, dass ein offener Raum für persönliche Entwicklung genutzt werden kann, ganz ohne Druck.
Und selbst wenn einige Themen und Erfahrungsmöglichkeiten die einzelne Frau manchmal herausfordern, die Gruppe als Ganze ist mehr als die Summe der einzelnen. Das kann ich gut verdeutlichen am Beispiel der erotischen Phantasien. Viele Frauen, die sich unter Druck fühlen, haben keinen Zugang zu erotischen Phantasien oder Tagträumen. Auch Wünsche können sie oft nicht formulieren. So kam ich auf die Idee eine erotische Ringgeschichte in der Gruppe zu schreiben. Konkret heißt das: Jede Frau beginnt eine Geschichte auf einem weißen Blatt Papier. Nach fünf Minuten wird das Blatt umgedreht und in die Mitte des Tisches gelegt, einmal gut durchmischt, und jede Frau nimmt sich eine anonym begonnene Geschichte, und schreibt weiter. Und was passiert? Heraus kommen wunderbare Geschichten. Jede bearbeitet von mindestens sieben Autorinnen, und auch jene Frauen, die vorher ängstlich davon überzeugt waren, soetwas nicht zu können, schauen stolz auf ihr Werk. Die Gruppe hat sie mitgenommen und geholfen eine Erfahrung zu machen, die allein nicht möglich gewesen wäre. Und alles ging ganz leicht mit sehr viel Freude und Errregung.
Die Freude ist ein gutes Stichwort. In der Therapie oder auch im Bekanntenkreis höre ich immer wieder Sätze wie: „An seiner Beziehung muss man arbeiten!“ „An unserem Sexleben müssen wir etwas verbessern!“ oder „Erotik und Lust gehören doch zu einer Partnerschaft dazu!“ Für mich klingt das alles sehr nach Pflicht, fast evangelisch. Ich finde es schön, wenn wir unser Vergnügen wichtig nehmen, wenn wir uns füreinander engagieren, oder uns gegenseitig inspirieren. Das passt für mich viel besser zum erotischen Erleben. Freude, Freiheit, Verspieltheit und Lebendigkeit sind für mich die Zutaten meines erotischen Erlebens, nicht aber Pflicht, Arbeit und Zielorientiertheit. Und weil das so für mich ist, gibt es im Salon immer leckere Getränke, feine Knabbereien, einen geschmückten Tisch und viel Humor. In diesem Kontext kann Lebendigkeit gedeihen.
Vielleicht fragen Sie sich beim Lesen, wer eigentlich die Themen des Salons bestimmt. Am Ende eines Jahres, manchmal auch dazwischen, frage ich nach Wünschen und Ideen. Daraus stricke ich dann das Jahresprogramm. Manchmal beginnen wir mit einem Thema und dahinter zeigt sich dann etwas ganz anderes, manchmal sehr eigenwillige Kombinationen. So geschehen beim letzten Salon, als wir über schlechen Sex sprachen, und wir in der letzten Stunde plötzlich im 2. Weltkrieg und den damit verbundenen Kriegsttraumata landeten. Vielleicht keine zufällige Entwicklung.
Ich selbst bereite zu jedem Termin ein Thema vor, bin aber flexibel, was den Verlauf anbelangt. Manchmal wollen sich einfach andere Gedanken, als die ursprünglich geplanten, durchsetzen.
Ich selbst diskutiere übrigens fleißig mit, bin schließlich auch eine Frau, der wenige erotische Themen und Probleme fremd sind. Dazu kommt meine Fachkompetenz, von der die Gruppe profitieren kann aber nicht muss.. Insofern habe ich eine Doppelfunktion als Sexualtherapeutin und als Teilnehmerin, die sich auch persönlich zeigen kann. Erstaunlicherweise geht das sehr gut. Ich vermute, dass ich das bereits in meinen ehemaligen Angstgruppen geübt habe. Auch hier hatte ich diese Doppelfunktion, einerseits Fachfrau zu sein und andererseits eine ehemals von einer Angststörung Betroffene zu sein. Aus meiner Sicht eine tolle Kombination.
Heute morgen wurde ich in einem Telefoninterview einer Frauenzeitschrift gefragt, ob ich so etwas wie einen Auftrag oder ein Ziel mit dem erotischen Salon verbinde. Ich musste einen Moment nachdenken, aber ja, so ist es tatsächlich.
Ich möchte Frauen dazu ermutigen, ihre eigene Sprache der Erotik zu entwickeln und mutig zu vertreten. „Traut euch, die sogenannte Norm links liegen zu lassen, und werdet im bestgemeinten Fall erotisch eigenwillig. Steht zu euren Wünschen und Bedürfnissen, und fragt nicht immer, ob das auch erlaubt ist. Werdet selbstbestimmt, ohne den anderen aus den Augen zu verlieren.“ Wenn ich dazu beitragen kann, dann finde ich das sehr erfreulich.
Ich bin die ewige Selbstoptimierung satt, gerade in Bezug auf Erotik und Sexualität.
Und wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann würde ich mir wünschen, dass auch Männer von diesem Austausch und Angebot profitieren. Entweder als Partner einer teilnehmenden Frau oder möglicherweise irgentwann in einem „erotischen Salon“ für Männer und Frauen. Ich fände einen geschlechtsübergreifenden Dialog über erotisches Erleben eine tolle neue Herausforderung und mehr als überfällig.
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