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Die Bedeutung erotischer Phantasien (2)

Letzte Woche hatte ich in der Filmkritik etwas über erotische Phantasien geschrieben, die mir auch in meinen Paargesprächen begegnen. Damit möchte ich mich heute ein wenig ausführlicher beschäftigen.

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum Sie phantasieren, was Sie phantasieren? Und können Sie diese Phantasien mit Ihren Lebensthemen in Verbindung bringen?

Die meisten Menschen, mit denen ich darüber gesprochen habe, sehen am ehesten Zusammenhänge mit schönen, aber schon vergangenen erotischen Erlebnissen. Oder sie phantasieren Situationen und Handlungen, die sie sich tatsächlich wünschen, nach denen sie sich sehnen.

Aus der Praxis und vielen Fortbildungen weiß ich, dass die Dinge komplizierter sind, als sie scheinen. Wie immer ist sich die Forschung darüber nicht ganz einig. Worüber aber Einigkeit besteht, ist, dass sich wirklich erregende Phantasiemuster bereits in der Kindheit bilden und als eine Art erotisches Drehbuch abgespeichert werden. In der Fachsprache wird dieses Drehbuch auch erotisches Skript genannt.

Mit diesen erotischen Drehbüchern beschäftigen sich Sexualforscher seit den neunziger Jahren. Eines meiner Lieblingsbücher zu diesem Thema ist: „Erotische Intelligenz“ von Jack Morin. J.M. hat als Psychoanalytiker eine Vielzahl dieser Phantasien gesammelt und versucht, diese nach Themen zu kategorisieren. Von ihm stammt die Aussage: „Aus den Konflikten eines Kindes entspringt die Leidenschaft des Erwachsenen.“ Das bedeutet, dass wir Menschen die Fähigkeit haben, innere Konflikte zu erotisieren.

Damit Sie sich vorstellen können, wie das geschehen kann, ein kleines Beispiel, das mir einmal eine Frau erzählte. Die für sie erregenste Phantasie war folgende: „Ich sehe mich in einer Art Stall. Ich bin nackt und trage ein Halsband aus Metall. Mit dem bin ich angekettet wie ein Kuh. Neben mir sind noch andere Frauen, die das gleiche Schicksal teilen. Dann kommt ein Mann herein, ein echter Macho. Er trägt nur eine Lederhose. Dann schaut er sich um, kommt auf mich zu und klatscht mir mit seiner Hand auf den Hintern. Er hat mich erwählt.“ Dann endet die Phantasie.

Bevor ich Interpretationshilfe anbiete: Was könnte das Thema oder der Konflikt hinter diesem Skript sein?

Das Thema war folgendes: Die Frau war ein Kind unter vielen Kindern, von ihrer Mutter nicht gerade begeistert herbeigesehnt und dazu äußerlich nicht so ansprechend und niedlich wie kleine Mädchen manchmal von ihren Müttern gewünscht werden. Diese Frau wuchs mit dem Gefühl auf, nicht begehrenswert zu sein, und nicht gewollt zu werden.
Wenn Sie sich jetzt das sexuelle Skript anschauen, fällt Ihnen vielleicht auf, dass die Frau in ihrer Phantasie von einem für sie attraktiven Mann „erwählt“ wird. Unter vielen anderen Frauen, ist sie etwas ganz Besonderes für ihn, die Königin, auch wenn sie angekettet ist. Diese Frau sehnte sich danach, einmal das Wichtigste für einen Menschen zu sein. Sie wollte gesehen werden und gefallen. Übrigens ist dieses zentrale erotische Thema bei Frauen sehr häufig. Es kommt in vielen Variationen vor. Eine davon hatte ich ja bereits in der Filmkritik letzte Woche erwähnt.

Was ich persönlich sehr spannend finde, ist die Tatsache, dass sich Skripte verändern können, wenn zentrale Konflikte gelöst werden: Sei es durch eine Veränderung der Lebensumstände oder auch durch eine Psychotherapie. Manchmal kann das schade sein. Zwar ist der Konflikt gelöst oder gebessert, aber die Lieblingsphantasie erregt nicht mehr wie früher. Und das kann auch ein Verlust sein.

Der Vollständigkeit halber möchte ich noch erwähnen, dass sexuelle Sripte nicht nur durch individuelle, intrapsychische Konflikte bestimmt werden, sondern auch durch tatsächlich gelebte interpersonale Beziehungserfahrungen. Und nicht zuletzt bewegen wir uns alle innerhalb eines bestimmten Zeitgeistes und den Erwartungen unserer Gesellschaft. Deshalb fragen sich so viele Menschen, ob sie sich in der sexuellen Norm bewegen. Habe ich genügend Lust? Wie häufig sollten wir miteinander schlafen? Ist es normal, wenn wir schon nach einem Jahr zu müde für Sex sind? Eigentlich ein spannendes Thema für die nächste Woche.

4 Kommentare
    • Christiane Jurgelucks
      Christiane Jurgelucks says:

      Vielen Dank, dass Sie einen Kommentar geschrieben haben. Das Schreiben macht gleich viel mehr Spaß, wenn ich weiß, dass es jemand liest.

      Antworten
  1. Guido Hertlein
    Guido Hertlein says:

    Hallo Frau Jurgelucks,
    ich bin als Männerleben-Teilnehmer hier zu Ihnen gelangt und finde das Thema natürlich ungemein spannend das sie da beackern. In Stuttgart hätte ich mir jedoch einen männlichen Referenten für das Thema gewünscht. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Vortrag.

    Antworten
    • Christiane Jurgelucks
      Christiane Jurgelucks says:

      Hallo Herr Hertlein,
      tut mir leid, dass ich so spät antworte, aber ich habe meinen Blog in der letzten Zeit etwas vernachlässigt, da ich in der Praxis so viel zu tun hatte. Als ich Ihren Kommentar las, dachte ich als erstes, dass ich Ihren Wunsch nach einem männlichen Referenten gut verstehen kann. Dann aber stellte ich mir die Frage, was denn eigentlich den Unterschied macht. Warum soll es leichter sein, mit einem männlichen Referenten über Phantasien zu sprechen als mit einer Referentin. Haben Männer mehr Verständnis untereinander? Sind sie offener miteinander? Spannende Fragen. Vielleicht habe ich in Stuttgart diesbezüglich einige Erkenntnisse. Durch Ihren Beitrag angeregt, habe ich einige männliche Klienten gefragt, ob es Ihnen etwas ausmacht, mit einer weiblichen Therapeutin über ihre sexuellen Phantasien und Wünsche zu sprechen. Einige meinten, dass es ihnen mit einer Frau sogar leichter falle, und die anderen kommen wahrscheinlich nicht. Sie haben mich auf jeden Fall zum Nachdenken angeregt. Und. Vielleicht sehen wir uns ja doch in Stuttgart.
      Herzliche Grüße
      christiane jurgelucks

      Antworten

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