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Du willst doch nur Sex!?
Auch Männer sehnen sich nach Berührung, die unter die Haut geht

Andreas JurgelucksJa, ich gestehe: ich bin berührungsabhängig. Berührung ist meine Droge. Wenn ich vor der Entscheidung stünde, den Rest meines Lebens entweder nur noch Sex oder nur noch Berührung erleben zu dürfen – ich würde ohne zu zögern die Berührung wählen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich mag Sex sehr. Dennoch könnte ich eher darauf verzichten als auf Berührung. Kennen Sie auch diese wahnsinnige Sehnsucht nach der warmen Haut Ihres Lieblingsmenschen, wenn Sie sich eine Weile nicht gesehen haben? Je länger diese Zeit wird, desto unangenehmer wird die Sehnsucht für mich. Und dann, wenn man sich endlich wieder sieht – die erste Umarmung nach Tagen – für mich fühlt sich das an, als wenn der gesamte Körper ausatmet. Den anderen spüren, den Herzschlag und den Atem, die Wärme der Haut. Und gleichzeitig eine wunderbare Wärme, die von innen aufsteigt und die Seele wärmt. Ich hatte schon manchmal das Gefühl, dass meine Liebste mir ihre Hand direkt durch die Haut hindurch bis ins Innerste, bis zum Herz ausstreckt, um es ganz sanft in ihrer Hand zu halten. Und wenn ich sie berühre, kann es vorkommen, dass ich in dieser Berührung dermaßen aufgehe, als wäre mein ganzer Körper die Berührung.Berührung ist (über)lebensnotwendig. Säuglinge, die nicht genügend Körperkontakt haben, entwickeln möglicherweise später problematische Beziehungsmuster oder sterben sogar im schlimmsten Fall. Aber auch im Alter, wenn Menschen vereinsamen, weil sie die letzten in ihrer Generationenfolge sind, brauchen sie Berührung. Wie wichtig (wohlmeinende) Berührungen für uns Menschen sind, ist sehr anschaulich und ausführlich in der Welt in diesem Artikel beschrieben. Und in diesem kurzen Video wird von Berührung als Therapieform berichtet.

Eine Berührung kann unglaublich guttun. Sie kann helfen, sich zu regulieren. Sie stellt im wahrsten Sinne des Wortes eine Verbindung her. Leider kann eine Berührung auch verletzen, sowohl körperlich als auch seelisch. Das kann ein Schlag oder eine herabwürdigende Geste sein, aber auch ein rücksichtsloser oder zielorientierter Griff in Regionen, die sehr viel Achtsamkeit erfordern. Oder sie bewirkt einfach gar nichts. Entweder, weil die „empfangende“ Person nicht im Kontakt mit der „gebenden“ ist bzw. umgekehrt. Oder eben weil die Berührung nicht wirklich die Person meint, die sie bekommt. Wie aber gelingt es, über eine äußerliche Berührung auch die Seele zu streicheln? Oder was macht eine Berührung erotisch?
Ich glaube, Berührung ist eine Kunst. Vielleicht sogar eine Gabe. Manche Menschen können berühren. Sehr gut sogar. Physisch wie seelisch. Und bis zu einem gewissen Grad kann man diese Kunst lernen. Aber wie es in der Kunst eben ist, müssen Menschen, die nicht mit der entsprechenden Begabung ausgestattet sind, üben. Wenn ich kein Naturtalent bin und nehme Pinsel, Leinwand und Farbe zur Hand, kann ich Farbe auf die Leinwand bringen. Vielleicht sieht es am Ende auch gut aus. Aber ein Kunstwerk wird es in der Regel nicht. Und so begegnen mir immer wieder Menschen, die zwar anfassen, aber eben nicht berühren. Vielleicht spüren sie den Unterschied gar nicht. Und wenn ich den Unterschied nicht kenne oder spüre, vermisse ich vermutlich gar nichts. Wenn Sie aber einmal eine wirkliche, wohlmeinende, tiefgehende Berührung erfahren haben, vermute ich, dass Sie nie wieder etwas anderes wollen.
Über den Unterschied zwischen Anfassen und Berühren möchte ich hier gerne schreiben. Meine Liebste sagt, ich hätte ein außergewöhnliches Talent auf diesem Gebiet. Und immer wieder kann man Menschen beobachten, auf der Straße, in der Praxis oder wo auch immer, die sich anfassen, ohne sich wirklich zu berühren. Mir fällt dazu ein Paar ein, das in unserer Praxis eine Berührungsübung gemacht hat. Person A hält die zur Faust geschlossene Hand vor und Person B soll versuchen, Person A einzuladen, die Hand zu öffnen. Nach kurzer Zeit des erfolglosen Rubbelns am Unterarm von Person A versucht Person B mit ziemlicher Gewalt, die Finger von Person A aufzubiegen. Für mich unvorstellbar.
Oder ein anderes Paar, die selbst gerade gar nicht in der Lage waren, eine Berührungsübung zu machen, weil sie sich emotional so weit voneinander entfernt hatten. Für dieses Paar haben wir stellvertretend eine Berührungsübung gemacht, um unterschiedliche Berührungsqualitäten zu demonstrieren. Eine der beiden Personen fing währenddessen an zu weinen. Auf die Frage, was denn der Auslöser sei, kam die Antwort: „Das möchte ich auch wieder erleben!“. Wow. Offenbar hat allein das Beobachten unserer kleinen Übung diese intensiven Gefühle ausgelöst. Eine Erinnerung an etwas, was die Person in der Vergangenheit schon einmal erlebt hatte. Eine Berührung der Seele allein durch Zuschauen.
Woran mag das liegen? Wie kann die Wahrnehmung bei verschiedenen Menschen so unterschiedlich sein? Liegt es einfach an mangelnder Übung? Oder liegt es vielleicht wirklich daran, dass Menschen in ihrer Prägungsphase so unterschiedlich berührt werden? Ich vermute Letzteres.
Wie also kann man berühren lernen? Wie bereits erwähnt: durch Übung! Und wenn ich keine Idee davon hab, was ich da üben soll, dann hilft es, sich Unterstützung zu suchen. Sie können unter fachkundiger Anleitung gemeinsam mit Ihrem Gegenüber ausprobieren, wie sich verschiedene Berührungsqualitäten anfühlen. Was ist der Unterschied zwischen schnellen und langsamen Berührungen? Wie fühlt es sich an, wenn der Druck variiert wird? Was gefällt mir persönlich am besten, mag ich lieber den Hauch einer Berührung, sanft wie der Wind? Ein kraft- und lustvolles Kneten wie bei einer Massage? Oder vielleicht doch lieber ein leichtes Drücken, gerade durch die Oberfläche, aber nicht so tief in die Muskulatur? Das kann man nur durch ausprobieren herausfinden. Denn eines ist klar: so, wie Sie selbst Ihr ganz persönliches Profil besitzen, wie sie wann und wo berührt werden möchten, hat auch Ihr Gegenüber ganz individuelle Wünsche und Bedürfnisse. Das herauszufinden benötigt zum einen etwas Zeit, zum anderen zwei Menschen, die sich auf diese Entdeckungsreise begeben wollen. Die sich gegenseitig erforschen wollen, verschiedenste Berührungen an unterschiedlichen Körperregionen ausprobieren. Und dazu braucht man natürlich auch Respekt. Wenn mir mein Gegenüber mitteilt, dass eine bestimmte Art der Berührung an dieser Stelle und in diesem Moment sich nicht richtig anfühlt, sollte ich das akzeptieren. Für diesen Moment. Das heißt aber nicht automatisch, dass das, was sich genau jetzt nicht gut anfühlt, in fünf Minuten, in drei Stunden oder in einer Woche genauso anfühlt.
Ich möchte Sie gern dazu einladen, wagemutig zu sein. Auch mal etwas Unerwartetes tun. Probieren Sie aus, experimentieren Sie, spielen Sie. Aber immer respektvoll. Ihre Hände verraten Ihnen sehr viel, Sie müssen nur zuhören. Versuchen Sie, zu erspüren, was Ihnen die Haut erzählt. Und vielleicht entdecken Sie Dinge, die Sie nicht erwartet hatten. In jedem Fall tun Sie etwas für Ihre Gesundheit und die Ihres Gegenübers. Es gibt inzwischen verschiedene Studien, in denen die Auswirkungen von streicheln, massieren, küssen etc. untersucht wurden. Und die Ergebnisse sind z.T. wirklich erstaunlich und vielfältig. Da wird von der Verbesserung der Stimmung, der seelischen Verfassung, des Immunsystems, der Minderung von Verspannungen und vielem mehr berichtet.
Deshalb: tun Sie etwas für die Gesundheit und streicheln, küssen, umarmen, kneten Sie, was das Zeug hält. Seien Sie spielerisch, kreativ. Nutzen Sie vielleicht auch mal die Handrücken, die Unterarme oder auch die Beine. Und vielleicht entdecken Sie, wie erotisch eine Berührung sein kann. Damit komme ich zum Anfang zurück und zu der Frage, was eine Berührung erotisch macht. Vermutlich ist die Empfindung höchst unterschiedlich von Mensch zu Mensch, aber auch von Situation zu Situation. In einer schönen Umgebung und in der passenden Stimmung kann beinahe jede Berührung erotisch sein. Bei mir jedenfalls ist das so. Und was bedeutet erotisch eigentlich? Muss eine erotische Berührung in jedem Fall zu einer sexuellen Handlung führen? Eindeutig: nein. Ich finde es in höchstem Maße lustvoll, mit der erotischen Spannung zu spielen, sie einfach auch mal im Raum stehen zu lassen. Andeutungen machen, mich lustvoll annähern und spielerisch wieder entfernen. Blicke einsetzen, die Stimme. Und dann kann sich vielleicht etwas daraus entwickeln. Vielleicht auch nicht. Und genau da ist die erotische Spannung. Alles kann, nichts muss. Das Geheimnis liegt für mich in der Offenheit. Absichtslose Berührung. Langsamkeit. Sich einfach überraschen lassen, was passiert. Kann ich Sie dazu verführen?

Herzlichst
Andreas Schreyer

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