Es ist, was es ist! Von der Liebe

Schon lange wollte ich einmal über die Liebe schreiben, aber ich habe mich immer gescheut. Was ist das, die Liebe? Ich glaube kein Mensch kann das wirklich beantworten, und schon gar nicht lässt sich die Liebe kategorisieren und in feste Begriffe packen. Nicht ohne Grund finden wir sie nur im direkten Erkennen, in der Sehnsucht nach ihr und natürlich in Kunst, Film und Poesie.

Während meinen Paar- und sexualtherapeutischen Weiterbildungen lernte ich nichts über die Liebe. Der Begriff taucht einfach nicht auf! Kein Wunder – Liebe lässt sich nicht konzeptualisieren, sie trägt viele Gesichter und drückt sich auf unterschiedliche Weise aus, und dennoch spielt sie eine große Rolle in der Paartherapie.

Ich habe mir schon oft die Frage gestellt, warum manche Paare auch sehr schwerwiegende Probleme miteinander bewältigen können und andere schon an Kleinigkeiten scheitern. Für mich eigentlich immer abhängig vom Grad der Liebe zwischen zwei Menschen. Spürbar im Raum – oft bei der Frage wie sich ein Paar kennengelernt hat, aber auch im direkten Kontakt zwischen Partnern und eben Liebenden.

Partner müssen sich demnach nicht lieben und Liebende müssen nicht unbedingt Partner sein.

Wenn ich hier über Liebe spreche, meine ich die romantische Liebe, die danach trachtet, dem anderen nah zu sein. Ich werde später versuchen, meine vorläufige Definition zu beschreiben, vorher möchte ich Ihnen einige meiner Lieblingsliebesgedichte vorstellen. Ich vermute, Sie kennen das erste. Ich habe leider in meinem Leben wenig Bezug zur Poesie entwickeln können, da mir die Sprache oft zu blumig ist. Dieses Gedicht aber liebe ich. Es hat mich schon in meiner Jugend begleitet, und ich fand es treffend formuliert: Kein Wort zuviel.

Was es ist

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist, was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist, was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist, was es ist
sagt die Liebe

Erich Fried

Und gerade fand ich noch ein Gedicht von ihm, dass dieses Gefühl des Nahseinwollens wunderbar ausdrückt.

Wollen

Bei dir sein wollen
Mitten aus dem
was man tut
weg sein wollen
bei dir
verschwunden sein

Nichts als bei dir
näher als Hand an
Hand
enger als Mund an
Mund
bei dir sein wollen

In dir zärtlich zu
dir sein
dich küssen von
außen
und dich streicheln
von innen
so und so und auch
anders

Und  dich einatmen
wollen
immer nur
einatmen wollen
tiefer tiefer
und ohne
Ausatmen trinken

Aber
zwischendurch
Abstand suchen
um dich sehen zu
können
aus ein zwei
Handbreit
Entfernung
und dann dich
weiterküssen

Erich Fried

Dich

Dich
dich sein lassen
ganz dich
Sehen, daß du nur du bist
wenn du alles bist was du bist
das Zarte und das Wilde
das was sich losreißen
und das was sich anschmiegen will
Wer nur die Hälfte liebt
der liebt nicht halb
sondern gar nicht
der will dich zurechtschneiden
amputieren verstümmeln…

Dich
dich sein lassen
ob das schwer oder leicht ist?
Es komt nicht darauf an
mit wieviel Vorbedacht und Verstand
sondern mit wieviel Liebe
und mit wieviel Liebe
und mit wieviel offener Sehnsucht nach allem
nach allem was du bist
nach der Wärme und nach der Kälte
nach der Güte und nach dem Starrsinn
nach deinem Willen und Unwillen
nach jeder deiner Gebärden
nach deiner Ungebärdigkeit
Unstetigkeit Stetigkeit
Dann ist dieses
dich dich sein lassen
vielleicht gar nicht so schwer.

Erich Fried

Wenn ich  die Gedichte auf mich wirken lasse, dann taucht bei mir die Frage auf, wieviele Menschen überhaupt in der Lage sind, tief und uneigennützig zu lieben, und ob es nicht sehr oft um die Frage geht, wie man die Angst vor dem Alleinsein vermeidet.

Ich stimme Erich Fried zu: Liebe beinhaltet nicht nur Nähe, sondern den Wunsch, den anderen wirklich zu erkennen und ihn in allem begreifen zu wollen, was auch das Scheitern beinhaltet. Vielleicht erkennen Sie jetzt etwas wieder, was ich im letzten Blog als eine Voraussetzung für intensive Sexualität genannt habe: Intimität!

Intimität ist der Wunsch und die Fähigkeit, den anderen erkennen und sich selbst zeigen zu wollen.

Ich selbst beschreibe die Liebe als Ausdruck und Sehnsucht nach tief empfundener Resonanz und zwar auf allen Ebenen des Seins. Ich möchte in meinem Sein berühren und berührt werden – durchdringend und nicht nur auf der Oberfläche.

Demnach würde lieben für mich bedeuten, mit Menschen in intensive Resonanz zu gehen, d.h. den Willen und den Wunsch zu haben, jemanden oder etwas wirklich zu erfassen (geistig), zu erfühlen (emotional), zu spüren (physisch) und Grenzen zu überwinden (spirituell). In diesem Sinne kann  übrigens auch Therapie ein Akt des Liebens sein. Liebe ist für mich nicht nur die romantische Liebe, sondern auch eine Haltung im und eine Entscheidung für das Leben.

In diesem Sinne – Wie lieben Sie?

 

 

 

 

 

4 Kommentare
  1. Schnupsipulami
    Schnupsipulami says:

    „Es ist was es ist“ ist mir im Rahmen meiner Lebendigkeitsoffensive 2016 nicht unbekannt 🙂

    Den Begriff Romantik verwenden Sie ja öfter. Der ist mir persönlich viel zu unbestimmt. DIe Griechen unterschieden ja satte siebe Arten der Liebe:
    1. Eros (Begehren)
    2. Philia (tiefes Verstehen)
    3. Storge (familiäre Liebe)
    4. Ludus (spielerisch, zB beim Flirten oder Tanzen)
    5. Agape (selbstlose Liebe, Caritas)
    6. Pragma („Liebe vergeht, Hektar besteht“ oder „resignative Reife“ im Sinne von Arnold Retzer)
    7. Philautia (Selbstliebe, ohne die geht bekanntlich gar nix).

    „Romantische Liebe“ – wäre für mich viel von 1, 2 und 4. Doch was macht das Paar nach der Honeymoonphase, wenn die Reinszenierung der kindlichen Beziehungserfahrungen beginnt?

    Antworten
  2. Till Kurbjuweit
    Till Kurbjuweit says:

    Liebe Christiane Jurgelucks,
    Mein Einhakpunkt ist das von Ihnen favorisierte Gedicht „Dich“ von Erich Fried, zu dem ich eine besondere, wenn auch indirekte Beziehung habe.

    Zwischen meinen beiden Ehen hatte ich eine heftige Affäre mit einer Badenserin, die damals noch etwas südlich von Ihnen in einer „offenen Beziehung“ lebte. Die Offenheit der Beziehung war allerdings einseitig von ihr erklärt, ihr Mann hätte es lieber anders gehabt. Um es kurz zu sagen: er litt unter ihren Eskapaden, mochte sie aber auch nicht unterbinden. Und dann widmete er ihr eines Tages eben dieses Gedicht von Erich Fried, leicht abgewandelt auf ihre Situation.

    Es war schlussendlich der Versuch eines Selbstcoaching, sie auch mit ihrem Freiheitsdrang lieben zu wollen, und ganz im Gegensatz zum Schluss von Frieds Gedicht fiel es ihm immer wieder unendlich schwer.

    Diese Frau liebte auch die romantische Liebe, will sagen, romantische Situationen für das, was man auch Liebe nennt. Ich hatte und habe dagegen auch nichts, wenngleich ich generell die romantische Liebe nicht favorisiere, wie Sie vielleicht meiner Rezension des Buches „Ich liebe dich gerade“ von Robert Heeß in meinem Blog entnehmen können. (http://www.liebe-beziehung-ego.de/rezensionen/rezensionen-sachb%C3%BCcher/ich-liebe-dich-gerade/)

    Sie rücken – ganz wie Fried – die Sehnsucht (nach Resonanz) in den Vordergrund, ich hingegen halte Sehnsucht für durchaus verzichtbar und ziehe die Erfüllung vor. Für mich ist Lieben etwas Tätiges (schließlich ist es ja auch ein tu-Wort), und zwar die geliebte Person fördern, befreien, beleben und behüten (frei nach Heinz Körner). Wenn Sie schreiben, dass auch Therapie Liebe sein kann, passt das hier perfekt.

    Herzliche Grüße und einen schönen Sonntag

    Till Kurbjuweit

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